Wer das Springstadion des CHIO Aachen betritt, den erfasst eine unheimliche Atmosphäre. Hier wurde Geschichte geschrieben, hier wurde mitgezittert, der Atem angehalten und befreit losgejubelt. Auf dem heiligen Rasen werden die schwersten Springen der Welt ausgetragen. Doch wer steckt hinter den ausgefeilten Parcours und kreativen Hindernissen, die die Reiter und ihre Pferde aus der Reserve locken und den Zuschauern den Puls in die Höhe treiben?
Frank Rothenberger hat den Überblick. Inmitten von Reitern, die ihre Pferde an das große Aachener Springstadion gewöhnen dürfen, Reitern, die noch den Parcours abschreiten und vielen weiteren Menschen, die zielstrebig die letzten Anpassungen der Parcoursaufbauten umsetzen, behält er die Ruhe und hat für jeden ein freundliches Wort. Seit 2003 ist er Parcourschef beim CHIO Aachen, 2006 baute er hier sogar für die Weltmeisterschaft. Wir treffen uns am Dienstag während des CHIOs, der Tag, an dem es in Aachen mit den ersten Springprüfungen losgeht.
Mit Stift, Papier und Hölzchen – die Planung des perfekten CHIO Parcours
Der Entspannung liegt sehr gute Planung zugrunde. Bereits Ende Februar bis Mitte März ruft Rothenberger sein Assistenzteam bei sich zusammen, um mit der Planung zu beginnen. Er wird unterstützt von Peter Schumacher, Christian Wiegand und seiner Tochter Isabel, die ebenfalls Springparcours baut. So werden zunächst die großen Springen geplant, also den Preis von Europa, den Nationenpreis, den NRW Preis, Samstag das Springen mit Winning Round und natürlich den großen Preis am Sonntag. Zwei bis drei Tage braucht das Team für die verschiedenen Parcours, deren reiterliche Bewältigung die Zuschauer im Stadion und vor den Bildschirmen fesselt. Aachen ist besonders. Auf vielfältige, sehr sichtbare Weise, aber auch im Hintergrund, bei der Planung der Parcours. Denn Aachen ist das einzige Turnier, das Rothenberger und sein Team händisch auf Papier planen. Dazu haben sie einen Plan mit Maßstab 1:200, der den 155 Meter langen Platz abbildet in Form eines 70 bis 80 Zentimeter langen und 60 bis 70 Zentimeter breiten Plans. Hierauf werden die Parcours dann mit Hölzchen und bunten Plastikschnipseln gebaut, jedes Springen in einer anderen Farbe. Da alles maßstabsgetreu ist, können die Distanzen mit dem Zollstock gemessen werden. Stehen die Springen, überträgt Rothenberger alles auf einen normalen DinA 4 Plan und digitalisiert letztlich alles. Warum Rothenberger hier so vorgeht, wird schnell klar: „Der Platz in Aachen ist so groß, dass man die Hindernisse auf einem normalen PC gar nicht darstellen kann, da sie dort zu klein sind und sich in der Darstellung verlieren.“
Ja, groß ist Aachen durchaus. Der Parcourschef zieht auch einen entsprechenden Vergleich: „Aachen ist wie Wimbledon im Tennis. Das größte Reitturnier der Welt mit 350.000 – 360.000 Zuschauern, über zehn Tage und dann dieser Platz mit der größten Reitfläche weltweit. Am Wochenende sitzen im Stadion 40.00 Zuschauer.“ Das kann aber auch eine Herausforderung sein, denn natürlich wollen die Zuschauer auch auf ihre Kosten kommen. Also muss bei der Parcoursgestaltung nicht nur auf Schwierigkeitsgrad, Reiter und Pferde eingegangen werden – auch an die Zuschauer denkt Frank Rothenberger. Denn wer fiebert nicht extra mit, wenn die Reiter trotz des großen Platzes gefühlt greifbar nah die Sprünge vor der eigenen Tribüne nehmen. Distribution of Jumps ist hier das Stichwort. „Wir bauen auch immer sehr lange Stechen, denn wir wollen überall auf dem Platz gewesen sein.“
Ein großes Team für eine große Aufgabe
Stehen die Entwürfe, gehen sie ans CHIO Aachen Team, um weitere Rücksprache zu halten. Da muss dann jede kleinste Änderung gut kommuniziert sein. Generell hat Frank Rothenberger ein großes Team im Rücken. Neben seinen drei Assistenten gibt es noch zwei Parcoursbauer, die das Hindernislager managen und dort alles sortieren und zusammenstellen. Der Aufbau im Springstadion wird dann von fünf Arbeitsgruppen à sechs Personen umgesetzt, die jeweils einen Gruppenleiter haben. Jede Gruppe hat ein eigenes Zugfahrzeug mit zwei Anhängern mit Ständern und Stangen und ist für sechs bis sieben Hindernisse zuständig. Der Aufbau selbst ist dann Routine, sagt Rothenberger. Das Material wird hereintransportiert, die Stangen an die Stellen gelegt, wo die Sprünge stehen sollen. Sind letzte Korrekturen vorgenommen, kann gebaut werden.
Doch wir kennen den Parcours in Aachen mit seinen beindruckenden Hindernissen natürlich nicht nur wegen ihrer kreativen Parcoursplanung. Sogar für die Hindernisgestaltung in Form von Blumenschmuck gibt es ein zehn- bis zwölfköpfiges Team, das Blumen und Pflanzen verteilt.
Wenn es dann tatsächlich ernst wird, gibt es natürlich die Mitarbeiter in den Springprüfungen selbst. Während Frank Rothenberger von ihnen erzählt, fällt der Begriff Pferdeschwanz. Denn an Start, Ziel und jedem Hindernis steht ein Mitarbeiter, der beispielsweise im Falle eines Hindernisfehlers eine Kelle hochhält. Da der Turm der Springrichter hoch über dem Turnierplatz thront, kann so auf Nummer sichergegangen werden, dass eventuelle Fehler am Hindernis auf jeden Fall auch aus der Distanz für alle gut sichtbar sind. Ganz schön viele Menschen also, die gewährleisten, dass sich die in Aachen startenden Springreiter auf einen perfekten Parcours freuen dürfen.
Die Nacht zum Tag Dank Flutlicht
Täglich finden in Aachen mehrere Springprüfungen statt, währenddessen Parcoursumbauten stattfinden. Die effiziente Teamarbeit können Besucher immer vom Rand aus verfolgen. Doch auch, wenn sich die Tore des Turniers hinter den letzten pferdebegeisterten Besuchern langsam schließen und die letzte Springprüfung des Tages gelaufen ist, bedeutet das für Rothenbergers Team noch keinen Feierabend. Denn für einen perfekten Start in den nächsten Turniertag wird bereits nachts alles vorbereitet und die nächste Herausforderung für die kommenden Starter von der Skizze zum Leben erweckt. Dabei kann es für Rothenberger und sein Team schon mal spät werden. Die letzten Prüfungen des Tages können im Springstadion seit dem Bau der Flutlichtanlage 2005 zwischen 22 und 23 Uhr enden. „Im Anschluss wird der Parcours umgebaut und da kann es schon mal zwei, drei Uhr werden, bis alles perfekt steht. Das ist anstrengend und kann auch mal an die Substanz gehen. Das ist die Arbeit, die die Zuschauer gar nicht sehen.“ Wenn es mal anstrengend wird, hilft es, ein motiviertes Team zu haben. Dass dies auf seine Leute zutrifft, weiß Rothenberger zu schätzen. Auf die Frage, ob es im Team ein gemeinsames Ritual gibt, berichtet der Parcourschef, dass Montagabend immer gemeinsam gegrillt wird. So auch in diesem Jahr. „Bevor die Springen durch das Flutlicht so spät endeten, wurde nach Prüfungstagen auch nochmal ein bisschen zusammen gefeiert. Das gibt es jetzt nicht mehr.“ Doch Rothenberger ist grundsätzlich Fan des Flutlichteffekts und gerät ins Schwärmen. „Mit Flutlicht ist es eine unheimliche Atmosphäre. Der Mercedes Benz Nationenpreis ist von den Emotionen her das schönste Springen. Aber der Rolex Grand Prix auch. Das ist der schwerste Grand Prix, den es im Jahr weltweit zu reiten gibt. Dann noch der Nationenpreis, wenn das Stadion voll ist, bei Flutlicht und die deutsche Mannschaft ist gut: Das ist schon was Besonderes.“
Bei all der ausgeklügelten Planung im Vorfeld, passieren im Reitsport aber bekanntermaßen auch immer wieder für Überraschungen. Ein Ritt, der Rothenberger besonders in Erinnerung geblieben ist? „Ich habe mal einen großen Preis gebaut, da hatten wir 21 Nuller in der ersten Runde, und keiner wusste warum.“ Er schmunzelt. „Vielleicht sind alle toll gesprungen oder es war doch ein bisschen zu leicht. Im Stechen nach der zweiten Runde waren dann nur noch vier oder fünf Pferde, das hat dann wieder gepasst.“ Trotz knapp zwanzig Jahren Aachen und jeder Menge Erfahrung auf internationalen Turnierplätzen, ist der Nervenkitzel also immer noch da. Rothenberger schmunzelt: „Wenn man hier in Aachen Parcourschef ist, die alleinige Verantwortung für die Ergebnisse hat und man nicht aufgeregt ist, dann muss man sich etwas Anderes suchen.“
Eva Wülfing
Fotos: Luisa Poose