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Foto: Rebecca Thamm
Foto: Rebecca Thamm

In the mood for food – Anweiden, aber richtig  

Hand aufs Herz. Welcher Pferdebesitzer sehnt sich aktuell nicht warme Sommertage herbei, die lange Ausritte im Sonnenschein, aber auch ausgedehnten Koppelgang und saftiges Gras für den geliebten Vierbeiner versprechen? Haben wir die Vision von glücklich grasenden Herden vor Augen, darf eine notwendige Bedingung jedoch nicht außer Acht gelassen werden – das richtige Anweiden.  

Im Gespräch mit Pferdewissenschaftlerin und Fütterungsexpertin Conny Röhm, klärt RRP auf, warum Anweiden so essenziell für die Pferdegesundheit ist, was zu beachten ist – und auch, welche Herangehensweisen nicht zielführend sind.  

Schreitet das Jahr voran, steht für Pferdehalter eine wichtige Phase bevor: das Anweiden. Es ist jene Zeit, in der sich die Routinen der Stallarbeit zunehmend nach draußen verlagern und der Fokus verstärkt auf die lang ersehnten Weidestunden gerichtet ist. Doch hinter dem idyllischen Bild grasender Pferde verbirgt sich durchdachtes Management. 

Futterumstellungen müssen immer langsam erfolgen.

Conny Röhm, Fütterungsexpertin

Immer mit der Ruhe

Fütterungsexpertin Conny Röhm betont: Die richtige Herangehensweise ist entscheidend, um möglichen gesundheitlichen Risiken beim Anweiden vorzubeugen und das Wohlbefinden der Pferde zu gewährleisten. „Futterumstellungen müssen immer langsam erfolgen.“, so die Expertin. „Der Verdauungstrakt des Pferdes ist empfindlich und der Wechsel von Raufutter in Form von Heu mit wenig Wasser auf das Saftfutter Gras mit sehr viel Wasser bedeutet eine große Umstellung. Deshalb sollte diese Veränderung immer langsam und über mehrere Wochen erfolgen.“ Und diese Empfehlung gilt nicht nur für den Wechsel von Heu auf Gras, sondern auch für alle anderen Futterumstellungen bei Pferden. „Denn bis ein Darm sich auf ein komplett neues Futterangebot umgestellt hat, kann das schon mal sechs Wochen dauern“, betont die Fütterungsexpertin. Erfolgt keine schonende Futterumstellung, ist das Pferd der Leidtragende, denn eine zu schnelle Veränderung kann Koliken zur Folge haben – ein Szenario, das sich kein Pferdebesitzer wünscht. „Wenn man nicht Anweiden würde, würde das Pferd von jetzt auf gleich eine sehr große Menge an Saftfutter aufnehmen, was Gärung und Aufgasungen zur Folge haben kann.“ Im Gegensatz zu uns Menschen, die Bulk eater sind, nehmen Pferde durch ihre bis zu 16-stündige Futtersuche den ganzen Tag kleine Futtermengen in langsamer Folge auf. Diese kontinuierliche Futterzufuhr hilft, den Pferdemagen nicht zu überladen und die Verdauungsleistung des Dünndarms nicht zu überfordern. Schnelle Futterwechsel können diese empfindlichen Abläufe aus dem Gleichgewicht bringen. 

Damit die Pferde die Weidezeit in vollen Zügen genießen können, sollte das Angrasen mit einem guten Konzept von statten gehen. Foto: Rebecca Thamm

Je größer die Leistung ist, die ich vom Pferd erwarte,

desto eher kann ich auch vor Mai anweiden.

Conny Röhm, Fütterungsexpertin

Eine Frage des Timings

Eine Frage, die sich beim Thema Angrasen stellt, ist die Wahl des optimalen Zeitpunkts im Jahr. Dieser sollte nach verschiedenen Aspekten gewählt werden. So spielen Rasse und sportlicher Einsatz eine große Rolle. „Habe ich eine Robustrasse wie beispielsweise Haflinger, Norweger oder Freiberger, sollte ich hier später im Jahr das Anweiden beginnen, also wenn das Gras in und am Ende der Blüte ist, sodass, wenn sie viel auf die Wiese gehen, das Gras schon am Ende der Blüte steht. Da weidet man ab Mai an.“ Zähle ich mein Pferd zu den Sportpferden, kann auch früher angeweidet werden. Hierbei ist jedoch kritisch zu hinterfragen, ob das eigene Pferd tatsächlich das Pensum eines Sportpferdes arbeiten muss oder die einstündige Bewegung am Tag zu einer falschen Annahme über die körperliche Konditionierung eines Tieres führt, das den restlichen Tag in der Box pausiert. Auch für diese Kandidaten rät Fütterungsexpertin Conny Röhm zu einer späteren Anweidung ab Mai. „Je größer die Leistung ist, die ich vom Pferd erwarte, desto eher kann ich auch vor Mai anweiden.“  

Neben der Wahl des optimalen Zeitpunkts im Jahr, ergibt sich auch die Frage nach der Tageszeit. Kalte Nächte sind auch in der Mitte des Jahres keine Seltenheit, was zu Schwankungen der Zuckerwerte im Gras führen kann. Zwar seien die Aufnahmemengen während des Anweidens gering, Fütterungsexpertin Röhm empfiehlt als idealen Zeitpunkt zum Angrasen jedoch den späten Nachmittag bis frühen Abend. 

Um das Pferd optimal an die erhöhte Saftfutterration auf der Wiese heranzuführen, rät die Fütterungsexpertin außerdem, das Anweiden über einen Zeitraum von sechs Wochen zu strecken.  

Mit wie vielen Minuten man dabei beginnt, hängt immer auch mit der Empfindlichkeit des Pferdes zusammen. „Manche Pferde sind extrem empfindlich, da muss mit fünf Minuten begonnen werden.“ Diese Empfindlichkeit stelle aber eher die Ausnahme als die Regel dar. „Für gewöhnlich reichen zu Beginn 15 Minuten, die entweder jeden Tag oder alle paar Tage gesteigert werden.“  

Doch viele von uns kennen sicher das Bild, mit dem Smartphone-Timer in der Hand akribisch jeden abgezupften Grashalm zu überwachen und nach Ablauf der Zeit vorsichtshalber jegliche weitere Graszufuhr zu unterbinden. Die Fütterungsexpertin begegnet dieser Vorgehensweise mit Beruhigung: „Wenn ein Pferd am Tag 24 Stunden auf der Weide steht, frisst es 50 bis 60 Kilo Gras. Das ist relativ viel. In den ersten 5 bis 15 Minuten kann das Pferd gar nicht so viel fressen. In den ersten drei bis sechs Stunden auf einer Weide und einer Anweidezeit fressen Pferde nachweislich binge, was bedeutet, dass sie schlingen. Erst ab einer Weidezeit von fünf bis sechs Stunden reguliert sich dieses Verhalten langsam.“ Sie skizziert als zeitliche Struktur: „Wenn die Pferde nicht vorgeschädigt sind, kann mit 15 Minuten über drei Tage angefangen werden. Nach den drei Tagen kann auf 30 Minuten gesteigert werden, um nach drei Tagen wieder 15 Minuten zu erhöhen. Je mehr Bewegung das Pferd parallel hat, desto besser.“  

Dieser Zeitraum muss nicht notwendigerweise an Halfter und Strick begleitet werden. Conny Röhm ist Freundin davon, die Pferde auch bereits zu Beginn des Anweidens in der Gruppe auf die Weide zu stellen, bzw. auf ein ordentlich eingezäumtes Stück Wiese.  

Wie die zeitliche Steigerung abläuft, hängt auch immer mit der anvisierten Weidezeit zusammen. Je nach Management ist nach sechs Wochen die Steigerung auf 24 Stunden Weide möglich. Doch auch der ganztägige Weidegang sollte gut durchdacht sein, denn hier sind ausreichender Platz, aber auch die körperliche Konstitution des Pferdes wichtige Punkte. „Es gibt manche Pferde, die könne nicht 24 Stunden auf die Wiese. Sei es, weil sie zu wenig arbeiten, weil die Wiese zu reichhaltig ist oder sie gesundheitlich vorgeschädigt sind.“  

Mehr zum Thema „Gesundheit & Fütterung“ finden Sie hier.

Nach dem Essen sollst du ruhen? 

Doch worauf kann ich achten, wenn ich mir nicht sicher bin, ob mein Pferd etwas empfindlicher ist? Ein Anzeichen für zu schnelles Anweiden kann ein pralles Erscheinungsbild des Pferdes sein, welches aufgast und bei diesen Anzeichen auch schnell eine Kolik entwickeln kann. Deshalb ist es ratsam, das Pferd nach dem Anweiden nicht sofort in die Box zu stellen, sondern die Gruppe nochmal zusammen in Laufhaltung wie beispielweise auf den Paddock zu verbringen, um für Bewegung zu sorgen. Auch ein Verdauungsspaziergang oder ein lockerer Ausritt ist eine gute Maßnahme nach dem Angrasen, denn die Bewegung kurbelt die Verdauung an und unterstützt das Pferd. In jedem Falle ist es aber sinnvoll, das Pferd nach dem Anweiden zu beobachten, denn es kann passieren, dass sich körperliche Reaktionen auf das Anweiden erst Stunden nach der Wiese einstellen.  

Damit die Pferde die Weidezeit gemeinsam genießen können, bedarf es eines passenden Managements.
Damit die Pferde die Weidezeit gemeinsam genießen können, bedarf es eines passenden Managements. Foto: Rebecca Thamm

Gute Vorbereitung 

Wie kann ich mein Pferd denn bestmöglich auf den ersten Weidegang des Jahres vorbereiten? Hier nennt Fütterungsexpertin Conny Röhm zwei Hauptpunkte: Bewegung und Futtermanagement. Denken wir an die ersten Bocksprünge und gestreckten Galopp auf sattem Grün, sind die Reaktionen hier wahrscheinlich zweigeteilt: Den einen bricht beim Anblick tobender Pferde auf der Koppel angesichts möglicher Verletzungen der kalte Schweiß aus, die anderen erfreuen sich schlicht an der Lebensfreude der Vierbeiner. Genauso wie eine lange Aufwärmphase vor dem Reiten wichtig ist, hat Conny Röhm auch hinsichtlich eines möglichst risikoarmen Anweidens den Rat, die Pferde vor dem Freigang in der Gruppe immer vorher eine halbe Stunde aufzuwärmen. Denn geht die wilde Jagd auf der Wiese erstmal los, ist das Risiko für Verletzungen unaufgewärmt deutlich höher.  

Ein weiterer Punkt, der die Pferde während des Angrasens unterstützt, ist das Hungermanagement. „Die Pferde sollten nicht hungrig auf die Wiese, sondern vorher Heu und Stroh zur Verfügung haben, sodass sie im Vorfeld vernünftig etwas im Magen haben.“ 

In puncto Pferdefütterung und Pferdefitness kommt auch besonders vor der satten Weidezeit die Frage auf, wie man Anweiden und Weidezeit optimal managt, wenn das Pferd zu Übergewicht neigt oder bereits übergewichtig ist. Hier wird die Fütterungsexpertin streng: „Ist das Pferd übergewichtig, ist das sehr schlecht, da sich besonders die Winterarbeit eignet, die Kilos abzutrainieren.“ Hier muss sich der Pferdebesitzer zur Verantwortung ziehen, denn Übergewicht bedeutet für Pferde große Einschränkungen. Maßnahmen wie reduzierter Weidegang oder das Tragen eines Maulkorbs bedeuten für das Pferd eine Verminderung der Lebensqualität. Denn beispielsweise der Maulkorb nimmt dem Pferd maßgeblich die Möglichkeit zur sozialen Interaktion und stellt eine große Belastung für den Lippenapparat und die Zähne dar. Außerdem muss beachtet werden, ob der Maulkorb in die Tränke passt und das Pferd so Zugang zu Wasser hat oder ob regelmäßig per Hand und Eimer getränkt werden muss. Ein Hilfsmittel also, deren Wahl Röhm als allerletzte Maßnahme sieht. Das Frühjahr sollte bei Übergewicht also dafür genutzt werden, die Trainingsintensität anzuheben und auch die gestellten Futtermengen zu überprüfen. Eine erneute Anpassung ist außerdem sinnvoll, wenn der Anweideprozess begonnen wird. Übergewichtige Pferde, die 24 Stunden auf die Wiese gehen sollen, bedürfen noch mehr Management, um trotz Weidegang eine Reduktion des Gewichts zu ermöglichen. In diesen Fällen rät Fütterungsexpertin Conny Röhm, sich Unterstützung von Tierärzten oder Futterexperten zu holen. „Das Management ist aufwendig und nicht einfach. Hier sollte ein Profi kommen, der sich die Wiese, das restliche Futtermanagement und die Haltung anguckt, um zu schauen, welche Handlungsoptionen bestehen.“ Denn am Ende ist es das Pferd, das am meisten darunter leidet, wenn es nicht auf die Wiese kann, besonders, wenn es alleine im Stall zurückbleiben muss.  

Kein Weidegang ist manchmal auch keine Lösung.

Conny Röhm, Fütterungsexpertin

Was machen bei Vorerkrankungen 

Doch nicht nur Übergewicht schränkt Pferde im Hinblick auf Weidegang ein, auch Besitzern von Pferden mit Stoffwechselerkrankungen wie EMS muss bewusst sein, dass sie ihren Vierbeiner auch hinsichtlich des Weidegangs besonders managen müssen. „Es muss ganz klar kommuniziert sein, dass Pferde mit Erkrankungen wie EMS in der Haltung und im Management sowohl aufwendig als auch teuer sind. Die Umsetzung der Maßnahmen ist nicht so einfach und kann viel Arbeit machen. Betroffene Pferde brauchen spezielle Haltungen und spezielles Management.“ Das Management muss individuell auf das jeweilige Tier abgestimmt sein und Sachverhalte berücksichtigen wie das Bestehen von Hufrehe, Lungenproblematiken oder der einer nicht intakten Leberfunktion. All das muss beim Weidemanagement beachtet werden und auch hier empfiehlt es sich, Futterexperten und Tierärzte mit umfassendem ernährungswissenschaftlichem Hintergrund zu Rate zu ziehen. „Sind diese Auffälligkeiten persistent, ist der Weidegang immer eingeschränkt. Kein Weidegang ist manchmal auch keine Lösung, aber das ist immer eine Einzelfallentscheidung, denn wir müssen immer darauf achten, dass wir das ganze tiergerecht gestalten“.  

Große Unterhaltung, aber zu welchem Preis? 

Äußerst kritisch sieht Röhm die Vorgehensweise in manchen Ställen, am 1. Mai die Tore zu öffnen und die Weidesaison unkontrolliert zu eröffnen. „Es gibt Betriebe, da funktioniert das. Ich kann das nicht gutheißen. Das Risiko ist immens.“ Denn nicht immer reagiert der Pferdekörper unmittelbar auf die enorme Umstellung Auch bis zu 48 Stunden später können Koliken eintreten, die Folge der Umstellung sein können.  

Auch bei Anweidepausen rät die Fütterungsexpertin zur Vorsicht. „Muss mein Pferd beim Anweiden ein paar Tage pausieren, passiert bei gesunden Pferden in der Regel nichts. Fällt es jedoch über eine gewisse Dauer aus, muss ich es auch konsequent neu anweiden.“  

Es gibt also einiges zu beachten, möchte man seinem Pferd die Idealvorstellung von vollständigem Freigang ermöglichen. Doch das Streben, sein Pferd möglichst artgerecht zu halten, sollte die Priorität eines jeden Pferdehalters sein. Denn der Weigegang ermöglicht nicht nur den Zugang zu mehr Vitaminen und Nähstoffen, als Heu sie bieten kann. Kommen die Pferde in der Herde auf großen Weideflächen raus, wird ihnen so ein artgerechtes, gesundes Leben ermöglicht, was letztlich der Gesundheit des Tieres zugutekommt.  

Die wichtigsten Punkte zum Thema Anweiden im Überblick

  • Bedeutung des Anweidens: Die Weidezeit ist entscheidend für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pferde und erfordert ein durchdachtes Management. 
  • Langsames Anweiden: Eine langsame und schrittweise Umstellung von Heu auf Gras ist notwendig, um die empfindliche Verdauung der Pferde zu schonen und Koliken zu vermeiden. Sechs Wochen Anweiden sind hier die Empfehlung der Expertin.  
  • Zeitpunkt und Dauer des Anweidens: Der optimale Zeitpunkt und die Dauer des Anweidens variieren je nach Rasse und individuellem Gesundheitszustand des Pferdes. Es empfiehlt sich ein Beginn Anfang Mai. Der optimale Tageszeitpunkt liegt am späten Nachmittag bis frühen Abend und sollte zu Beginn ca. 15 Minuten umfassen. 
  • Management bei Übergewicht: Pferde mit Übergewicht sollten bestenfalls in der Winterarbeit und durch Futtermanagement auf ihr Idealgewicht gebracht werden. Ansonsten erfordern sie besondere Aufmerksamkeit und möglicherweise Einschränkungen beim Weidegang sowie Anpassungen im Futtermanagement. 
  • Berücksichtigung von Vorerkrankungen: Pferde mit Stoffwechselerkrankungen erfordern ein individuell angepasstes Management, das auch den Weidegang einschließt, unter Beratung von Expert*innen. 
  • Vorsicht beim Anweiden: Schnelle und unkontrollierte Anweidepraktiken sowie längere Pausen im Anweideprozess können gesundheitliche Risiken für die Pferde mit sich bringen und erfordern eine sorgfältige Herangehensweise. 

Die RRP-Expertin Conny Röhm

Conny Röhm ist studierte Pferdewissenschaftlerin und führende Expertin auf dem Gebiet der Pferdefütterung. Neben verschiedenen Lehrtätigkeiten im Bereich Pferdefütterung an Hochschulen im In- und Ausland gibt sie ihr Wissen über ihre unabhängige Futterberatung Futterberatung Röhm wie auch auf Plattformen wie wehorse.de an Pferdebesitzer, Stallbetreiber, Therapeuten, Tierärzte und Trainer weiter. Hilfe und Kurse rund um das Thema Pferdefütterung gibt es auch auf der Website von Conny Röhm https://www.futterberatung-roehm.de  und unter www.twi.academy 

Eva Wülfing 

Titelbild: Rebecca Thamm

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