Wer nach dem passenden Gebiss für sein Pferd sucht, hat die Qual der Wahl: Der Markt bietet mittlerweile so viele unterschiedliche Formen, Funktionen und Materialien, dass die Entscheidung schwerfällt. Tatsächlich ist aber genau die wichtig für das Wohlbefinden des Pferdes. Und: Es sollte sich das Gebiss selbst aussuchen dürfen.
„Ein optimal wirkendes Gebiss ist genauso wichtig wie ein perfekt angepasster Sattel“, sagt Christina Krajewski. Die Gebiss-Expertin ist nicht nur die Mutter von Olympiasiegerin Julia Krajewski, sie verhilft jedes Jahr mehr als 100 Pferden zu ihrem individuellen Lieblingsgebiss und ist auch gefragte Referentin auf Vortragsveranstaltungen. Ihr Anliegen: „Ich möchte den Reitern vor Augen führen, welche Auswirkungen ein unangenehmes Gebiss haben kann.“ Sie vertritt dabei die Philosophien von Heather Hyde. Die englische Pferdezüchterin ist seit Jahrzehnten anerkannte Kapazität für Zäumungsberatung in England und gründete die Firma Neue Schule Bits. „Leider passt vielen Pferden ihr Gebiss nicht. Dabei fühlt sich das Pferd wahrscheinlich ungefähr so wie wir, wenn wir mit drückenden Schuhen laufen müssen.“
Entscheidendes Detail
Hinzu komme: „Viele kennen die verschiedenen Eigenschaften der Gebisse gar nicht. Auf die Wünsche des Pferdes wird bei der Auswahl kaum geachtet“, sagt Krajewski. „Es tut mir immer wieder leid, wenn ich sehe, wie sich Pferd und Reiter bemühen, aber dieses kleine Detail – falsches Gebiss – ihnen im Weg steht.“ Es sei wie mit billigen Lautsprechern: Sie nerven und tun im Zweifelsfall in den Ohren weh. „Die Reiterhand und die Zügelhilfen sind der Sender, das Gebiss ist der Empfänger. Wenn der Empfänger nicht zum Sender passt, können die eigentlich korrekt gegebenen Signale nicht richtig ankommen“, zieht die Expertin einen Vergleich. Dabei handele es sich um ein Eisberg-Modell: Nur 15 Prozent der Folgen eines unbequemen Gebisses werden tatsächlich sichtbar. „Es entwickelt verschiedene Vermeidungsstrategien“, sagt Krajewski. Dazu können Sperren, Einrollen, Herausheben und andere Maulauffälligkeiten gehören. Gravierendste Auswirkung der Vermeidung eines unbequemen Gebisses ist aber vor allem, dass es seine Funktion nicht erfüllen kann: „Der Spannungsbogen bricht ab, das Pferd vermeidet den Kontakt zum Gebiss und ist nicht mehr durchlässig.“ Folgen können schwunglose Bewegungen, schlechte Bemuskelung und Blockaden sein. Daraus kann sich schließlich eine Negativspirale entwickeln: Auf der einen Seite versteht das Pferd nicht, wofür das Gebiss eigentlich gut sein soll, und auf der anderen Seite kommt der Reiter mit seinen Hilfen nicht durch, wird möglicherweise immer gröber und „streitet“ sich mit dem Pferd.

Sollte sitzen wie ein bequemer Schuh
Somit wird das genaue Gegenteil von dem erreicht, wozu ein Gebiss eigentlich beitragen sollte, nämlich: „Das Pferd zieht an das Gebiss heran und fängt den Schwung der unter den Schwerpunkt tretenden Hinterhand vorne ab. Dabei werden die Zügelhilfen mit dem Unterkiefer beziehungsweise Kaumuskel zurückgefedert.“ Krajewski ist überzeugt: „Damit das Pferd eine Chance hat, die Hilfen zu verstehen und sich darauf zu konzentrieren, darf es das Gebiss als solches möglichst gar nicht bemerken.“ Wichtigste Voraussetzung dafür: Es muss anatomisch perfekt sitzen.
„Haben sich Reiter und Pferd mit einem non-funktionalen Gebiss ‚herumgeschlagen‘, muss erstmal ein Reset erfolgen“, sagt die Expertin. Das bedeutet: Das Pferd muss bemerken, dass das Gebiss kein Störfaktor, sondern eine Hilfe sein kann. „Dabei muss sich der Reiter immer wieder vor Augen führen: 90% der Hilfen, die er gibt, sind Gewichts- und Schenkelhilfen. Zügelhilfen sind durchhaltend und nachgebend, bei einer ruhigen Hand.“ Erste Anzeichen dafür, dass ein passendes Gebiss gewählt wurde: Das Pferd ist bereit, an die Hand heranzuziehen, Unterlippe und Ohren sind entspannt, der Rücken beginnt zu schwingen.
Wer sich allerdings einmal auf dem schier endlos scheinenden Markt der Gebisse umsieht, wird schnell feststellen: Was unter „anatomisch“ verstanden wird, unterscheidet sich von Hersteller zu Hersteller. „Früher galten dicke Gebisse als besonders schonend. Mittlerweile ist die Erkenntnis gereift, dass es den Platz im Maul stark eingrenzt.“ Denn: Die meisten Pferde haben zwischen den oberen und unteren Laden weniger als 20mm Platz.
Zungenfreiheit nicht einschränken
Daher rät die Expertin: „Ein perfekt sitzendes Mundstück darf in der Höhe nicht mehr Platz einnehmen, als tatsächlich vorhanden ist. Außerdem sollte es zur Form von Zunge und Gaumen passen, damit die Zungenfreiheit nicht eingeschränkt wird.“ Damit es nicht scharf wirkt, muss die Auflagefläche auf der Zunge möglichst groß und ebenmäßig sein. Die Zunge des Pferdes spielt dabei übrigens eine entscheidende Rolle: „Ist sie dick und fleischig, sollte ein Gebiss verwendet werden, das sie nicht einquetscht.“ Bei schmalen und dünnen Zungen seien flachere Mundstücke empfehlenswert, damit sich der Druck gleichmäßig verteile.
Und selbst wenn das Gebiss in der Theorie optimal zur Zunge passt: Von Pferd zu Pferd ist die Empfindung des optimalen Mundstückes unterschiedlich. Dabei spielt nicht nur die Dicke, sondern auch die Krümmung und Winkelung eine Rolle, aus der sich die individuelle Druckverteilung auf der Zunge ergibt.
Eine weitere Frage, an der sich bis heute die Geister scheiden: Was ist sanfter, ein doppelt- oder ein einfach gebrochenes Gebiss? Christina Krajewski sagt: „Wer eine feinfühlige Kommunikation erreichen will, greift auf ein möglichst flexibles Gebiss zurück.“ Das würde also für die doppelt gebrochene Variante sprechen. „Allerdings gibt es auch hier ein Aber: Es gibt vereinzelt Pferde, die keinen Druck auf den zentralen Bereich der Zunge mögen.“ Hier wäre dann eine einfach gebrochene Trense optimaler.
Um den so genannten Nussknacker-Effekt zu verhindern, nämlich indem die einfach gebrochene Trense bei Anzug ein Dreieck bilde, das asymmetrisch auf die Zunge wirke, sei hier eine anatomische Variante pferdefreundlicher. „Bei der sind die Enden der Schenkel von den Lippen weggeschwungen und laufen flach aus, um eine Auflage auf den Laden zu bilden.“ Flexible Ringe verhindern, dass das Gebiss zu starr wird und sich verkantet.
Die Klassiker: Gebissarten im Überblick
Wassertrense
Es ist der Klassiker unter den Gebissen: Die Wassertrense ist einfach oder doppelt gebrochen, lässt einseitige Zügelhilfen zu und wirkt einfach gebrochen direkter, doppelt gebrochen bringt sie weniger Druck auf den Laden. Dank der beweglichen Ringe kann das Pferd die Lage im Maul beeinflussen. Für die Anpassung sollte ein Gebiss so gewählt werden, das die Ringlöcher an beiden Seiten frei liegen (bei losem Zügel), es darf gemäß LPO an jeder Seite bis zu 0,5 Zentimeter überstehen.
Olivenkopf-/ D-Ring-Trense
Auch die Olivenkopf- und D-Ring-Gebisse gibt es einfach- oder doppelt gebrochen. Sie haben feste Seitenteile und liegen so ruhiger im Maul und bieten mehr seitliche Führung, z.B. in engen Wendungen oder bei Balanceproblemen. Da die Seitenteile am Maul anliegen müssen, wird hier das exakte Maß des Pferdemauls als optimale Gebissgröße gewählt, die Lippe darf im Maulwinkel aber nicht eingezwängt werden
Schenkeltrense
Bei dem Schenkelgebiss laufen die Gebissringe nach oben und unten in langen Schenkeln aus, erhältlich ist diese Variante sowohl einfach- als auch doppelt gebrochen sowie als Stange. Die Schenkel sorgen dafür, dass das Gebiss nicht aus dem Maul rutschen kann, die seitliche Anlehnung wird verstärkt. Auch hier wird das exakte Maß des Pferdemauls als optimale Gebissgröße gewählt, damit das Gebiss nicht verrutschen kann.
Stangengebiss
Wie der Name bereits sagt, besteht dieses Gebiss aus einer Stange, also einem starren Mittelstück, das sowohl ganz gerade oder auch mit Zungenfreiheit erhältlich ist. Stangengebisse lassen einseitige Zügelhilfen weniger gut zu, es wirkt deutlich schärfer, der Druck auf den Laden wird erhöht. Erhältlich sind Stangengebisse in den verschiedensten Varianten: Mit beweglichen Ringen sollte die Passform ähnlich wie bei der Wassertrense gewählt werden, mit festen Seitenteilen wird die Größe bei bei den Olivenkopf- und D-Ring-Trensen gewählt.
Pelham
Das Pelham ist sowohl einfach- als auch doppelt gebrochen oder als Stange erhältlich. Der Oberbaum des Gebisses wird in das Backenstück des Reithalfters geschnallt, er verfügt über eine Kinnkette mit Unterlage. In Gebissring und Unterbaum wird ein Verbindungssteg für den Zügel befestigt. Das Pelham sorgt dafür, dass auch das Genick des Pferdes sowie die Kinngrube angesprochen werden, sodass es eine größere Hebelwirkung hat. Bei der Wahl der Größe wird das exakte Maß des Pferdemauls als optimale Gebissgröße gewählt.
Welches Gebiss wirkt wie?
„Varianten wie Olivenkopfgebisse sind dabei weniger flexibel und führen häufig dazu, dass dem Pferd Stellung und Biegung schwerer fallen.“ Je nachdem, mit welcher Variante sich das Pferd wohler zeigt, gilt jedoch: „Ein Gebiss mit fixierten Ringen darf sich an den Maulwinkel anschmiegen, während eines mit losen Ringen so gewählt sein sollte, dass die Ringe gleiten können.“
Und wie sieht es mit den so genannten Hebelgebissen aus? „Sie sind – korrekt eingesetzt – keineswegs unangenehmer fürs Pferd als Trensengebisse“, ist Krajewski überzeugt. Studien hätten gezeigt, dass eine Verstärkung der Zügelkraft nicht, wie vielfach angenommen, erzielt werde. „Tatsächlich stellen sie eine kluge Möglichkeit dar, um die Kommunikation mit dem Pferd zu verbessern. Ein Teil der Zügelkraft wird dabei als zusätzlicher Impuls auf Genick oder Kinngrube übertragen. Durch das Ansprechen weiterer Kommunikationspunkte zusätzlich zur Zunge versteht das Pferd die Signale leichter.“ Dennoch gelten hier, ähnlich wie bei der normalen Wassertrense, die gleichen Regeln: Sie sollten nur in Kombination mit einem angenehmen, gerne akzeptierten Mundstück verwendet werden, um sich positiv auf die Anlehnung auszuwirken.
Krajewski kann auch nicht bestätigen, dass Stangengebisse besonders pferdefreundlich sind. „Sie sind viel zu starr, um feine Hilfen übertragen zu können. Außerdem verkanten sie sich bei unsymmetrischer Zügeleinwirkung. “ Reagiere das Pferd nicht auf die Zügelhilfen, komme es schnell zu einem Teufelskreis: Der Reiter wirkt immer stärker, damit aber auch noch unpräziser ein.

Das Fußbett-Prinzip
Wenn Christina Krajewski die verschiedenen Gebissarten beschreibt, spricht sie daher gerne vom Fußbett-Prinzip: „Das Gebiss fühlt sich das Gebiss für das Pferd umso angenehmer an, desto gleichmäßiger und passender die Kontaktfläche zwischen Mundstück und Zunge ist.“ Während doppelt gebrochene Gebisse eher in den Bereich der Komfort-Schuhe wie Sneaker oder Loafer fallen, würde sie Varianten wie einfach gebrochene und Olivenkopfgebisse den High Heels zuordnen. „Stangengebisse können wiederum durchaus als Holzschuhe unter den Gebissen bezeichnet werden.“
Aus ihrer Sicht gibt es mehrere Punkte, die ein besonders pferdefreundliches Gebiss ausmachen: „Die Kontaktfläche ist groß und gleichmäßig und macht 90% der Wirkung aus. Sie passt zur Zunge und den individuellen Vorlieben des Pferdes. Es hat ein zierliches Mittelstück, die Gelenkverbindungen gleiten ruckelfrei.“ Bei der Auswahl des Materials gibt es weitere Kriterien, die von den Pferden besonders gut angenommen werden: „Die Gebisse haben eine dauerhaft glatte Überfläche, eine hohe Wärmeleitfähigkeit oder Isolierwirkung, ein geringes Gewicht und sind stoßabsorbierend bei Zahnkontakt“, zahlt Christina Krajewski einige Punkte auf.
Schnell wird deutlich: Die Wahl des Gebisses sollte nie leichtfertig getroffen werden – dass sich das Pferd mit dem Mundstück wohl fühlt, ist entscheidend für den Verlauf seiner weiteren Ausbildung. Wer sich unsicher ist, welche Variante für sein Pferd am besten ist, kann bei einer Gebissberatung Hilfe finden: Hier können Experten nicht nur die Anatomie des Pferdemauls, sondern auch seine Reaktionen unter dem Sattel bewerten und bei der Auswahl des „Lieblingsgebisses“ beratend zur Seite stehen.
Die RRP-Expertin: Christina Krajewski

Christina Krajewski ist nicht nur die Mutter von Olympiasiegerin Julia Krajewski, sie ist darüber hinaus auch seit mehr als zehn Jahren als Gebissexpertin und -beraterin tätig. Sie ist als Referentin unterwegs und bildet Gebissberater aus.





