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Working Equitation: Back to the Roots

Seit über zehn Jahren ist eine Reitweise in Deutschland auf dem Vormarsch, die gleichzeitig die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Reiterei bedeutet. Stefan Baumgartner und Marc Rose verraten, was es mit der „Faszination Working Equitation“ auf sich hat und warum sich ein Ausflug in diese Sparte der Reiterei eigentlich für jeden Pferdefreund lohnt!

Der RRP-Experte: Stefan Baumgartner

Stefan Baumgartner ist von Beruf Sattelentwickler. Als Gründer und Initiator der Working-Equitation-Bewegung in Deutschland hat er diese Reitweise mit der Austragung der ersten deutschen Qualifikation für die Europameisterschaft im Jahr 2009 als Wettkampfdisziplin etabliert. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft Working Equitation Deutschland (AWED). Nach vielen Jahren in Andalusien lebt er heute auf dem Lengelshof in Ratingen und ist Autor des Buches ‘Spaß an Working Equitation. Der gelungene Einstieg’ aus dem Cadmos Verlag.

Im rasanten Tempo galoppiert ein Reiter einhändig durch einen Slalom aus dünnen Stangen, die nicht fallen dürfen, um kurz vor dem nächsten Hindernis anzuhalten und das Pferd rückwärts durch eine L-förmig angeordnete Stangengasse zu dirigieren. Weiter geht es im gestreckten Galopp über eine Holzbrücke, um das Pferd danach seitwärts über eine Stange zu dirigieren. Nachdem der Reiter einen langen Holzstab – die sogenannte Garrocha – aufgenommen hat, muss er mit dieser versuchen, einen kleinen Ring aufzuspießen. Das Publikum jubelt. Der Reiter hält sein Pferd vor einem Tor, öffnet es, reitet hindurch und schließt es wieder. Dafür braucht er nur wenige Sekunden, dann galoppiert er unter tosendem Applaus über die Ziellinie.

Die fliegenden Wechsel klappen im Slalom wie am Schnürchen.
Foto: ruhrpott_nicographie

Mittlerweile hat jeder Pferdenarr schon spektakuläre Aufnahmen des Speedtrails, einer der Teilprüfungen der Working Equitation, gesehen. Stefan Baumgartner aus Ratingen besuchte in Spanien vor etlichen Jahren rein zufällig ein Working Equitation Turnier und war sofort begeistert: „Die Vielseitigkeit der Prüfungen und die lässige Eleganz der Reiter, die einhändig schwere Lektionen ritten, hat mich sofort fasziniert”, erzählt er. „2008 haben wir dann hier in Deutschland die ersten Turniere organisiert, mittlerweile sind wir Mannschaftsweltmeister.” Doch wo liegt der Ursprung dieser Reitweise?

Arbeitsreitweisen unter einem Reglement zusammengefasst

„In den südeuropäischen Ländern bestehen bis heute authentische Arbeitsreitweisen mit Rindern, die bis dato gewissermaßen ein Inseldasein – inklusive national ausgetragenen Wettkämpfen – gefristet haben. In Spanien waren es die Doma Vaquera-Reiter, in Frankreich die Camargue Reiter und in Italien gibt es die Butteri – alles sehr regional geprägte Menschen, die sehr stolz auf stolz auf ihre Art zu reiten sind. Der Gedanke sich gemeinsam international zu messen, war die Geburtsstunde der Working Equitation. Gemeinsam wurde ein internationales Reglement ausgearbeitet, das keinen Reitstil bevorzugt oder benachteiligt und an dem sich alle Reiter weltweit orientieren können.”

Wer bei der Rinderarbeit jedoch an große Rinderherden in Texas und traditionelle Westernturniere denkt, liegt falsch. „Im Gegensatz zu der amerikanischen Arbeitsreitweise gibt es bei der Working Equitation keine sogenannten Fachidioten, denn das Pferd muss alles können. In Amerika hat man für jede einzelne Disziplin – sei es Cutting oder Roping – ein anderes Pferd”, erklärt Stefan Baumgartner und kann möglichen Anwärtern die Angst vor der Rinderarbeit nehmen: „Erstaunlicherweise haben fast alle Pferde Spaß daran. Die Rinder weichen aus, und das Pferd merkt, dass es ‘quasi’ ranghöher ist. Durch die eigene Präsenz ein anderes Tier zu bewegen, gefällt jedem Pferd. Von 50 Pferden sind lediglich ein bis zwei dabei, die die Rinderarbeit als Stress empfinden. Entscheidend ist dort aber auch wieder die Rittigkeit, um die Kuh von A nach B zu treiben. Wenn das Pferd nicht schnell reagiert und nicht prompt die Hilfen annimmt, dann klappt in der Rinderarbeit nichts.”

„Bei der Working Equitation muss das Pferd alles können, da gibt es keine sogenannten ‚Fachidioten‘. Aber auch der Reiter muss natürlich vielseitig sein!“

Stefan Baumgartner

Doch nicht nur der Vierbeiner, sondern auch der Reiter muss allerhand beherrschen. Ähnlich wie in der Vielseitigkeit besteht der Working Equitation-Wettkampf aus mehreren Teilprüfungen, die alle gleichmäßig gewichtet werden. Auch in dieser Sparte der Reiterei wird mit einer Dressurprüfung in das Turnier gestartet. Dazu kommt der Dressurtrail, den man sich als anspruchsvolle Dressur, jedoch mit Hindernissen vorstellen kann. Hierbei gibt es eine Prüfung, in der man eine Note für den Stil erhält, und den Speedtrail, in der man den Parcours möglichst schnell und fehlerfrei absolvieren soll. „In der Working Equitation ist die Rinderarbeit erst in fortgeschrittenen Klassen vorhanden und macht auch nur ein Viertel der Gesamtnote aus. Es hilft nichts, wenn man sehr begnadet in der Rinderarbeit ist, aber keinen vernünftigen Wechsel reiten kann”, fährt Stefan Baumgartner fort.

Von E nach S

Der Schwierigkeitsgrad ist dabei folgendermaßen unterteilt: „Es geht – ganz wie im klassischen Sport – mit der Klasse E los und steigert sich bis zur S**-Prüfung. Zuerst wird nur auf Trense geritten und man muss die Grundgangarten präsentieren. Die klassischen Merkmale der Dressurausbildung wie Takt, Losgelassenheit oder Schwung sind bei uns genauso gültig.” Dieses internationale Reglement gilt genauso in Spanien wie in Deutschland. Hierbei ist die deutsche Working Equitation-Szene deutlich auf dem Vormarsch: „Im deutschen Verband sind mittlerweile 800 Reiter organisiert und es reiten tatsächlich sogar etwa 3.000 Menschen Working Equitation. Vor allem auf die Prüfungen in den Klassen A und L gibt es auf Turnieren mittlerweile so viel Andrang, dass die Startplätze begrenzt werden müssen. Gerade bei den Jugendlichen und Jungen Reitern gibt es immer mehr Anhänger der Working Equitation. Besonders sportlich ambitionierte Freizeitreiter haben Spaß an der vielseitigen Ausbildung”, erläutert Stefan Baumgartner. 

„Die klassischen Merkmale der Dressurausbildung wie Takt, Losgelassenheit und Schwung sind auch in der Working Equitation gültig.“

Stefan Baumgartner

Dabei ist von Vorteil, dass man nicht auf eine bestimmte Rasse angewiesen ist: „Es gibt keine Pferderasse, die sich am besten dafür eignet. Viele starten mit Warmblütern oder iberischen Pferden, aber man sieht auch Vollblüter und Haflinger”, erklärt Stefan Baumgartner, der selbst einen Trakehner reitet. So hat jeder Pferdenarr die Möglichkeit, Working Equitation auszuprobieren und auch auf Turnieren vorne mitzureiten: „Das vielbeschworene Freizeitpferd hat bis in die Klasse M genauso Chancen wie jedes andere Pferd. Oben wird die Luft natürlich dünner und man braucht für die Klasse S meistens ein qualitätsvolleres Pferd. Trotzdem ist die Einstellung des Pferdes zum Sport am wichtigsten. Wenn die Rittigkeit stimmt, gibt es erstaunliche Ergebnisse mit Pferden, die keine berauschenden Grundgangarten besitzen und insgesamt eher durchschnittlich sind, aber aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Charakters überzeugen.”

Auf nationalen Turnieren darf man sich und das Pferd ganz nach seinem eigenen Geschmack kleiden.
Fotos: Markus Grüter

Rittigkeit ist das A und O

Und was sollte der eigene Vierbeiner von zuhause mitbringen, wenn man einen Ausflug in die Working Equitation unternehmen möchte? „Das Pferd sollte über genügend Nervenstärke und Rittigkeit verfügen. Um ehrlich zu sein, ist eine Rittigkeit 2.0 gefordert, denn die Aufgaben sind vielschichtig und die Turnierplätze und deren Hindernisse sehen immer wieder anders aus. Ein schieres Abrichten auf ein Schema klappt daher nicht”, erklärt Stefan Baumgartner, der versucht Interessenten die Scheu zu nehmen: „Populär sind immer die Videoaufnahmen der S-Reiter im Speed Trail. Doch man fängt ganz klein an, so dass jeder Reiter ohne Probleme reinschnuppern kann. Erst nach vielen Jahren der Ausbildung ist die Klasse S das Endziel.”

Auch wenn viele Parallelen zum klassischen Sport bestehen: Die Ausrüstung des Pferdes und die eigene Kleidung sind auf dem Turnier frei wählbar. Lediglich im internationalen Sport gibt es folgendes Reglement: „Jede Mannschaft soll die nationalen Gepflogenheiten darstellen und sich dementsprechend ausrüsten und kleiden. Die deutsche Nationalmannschaft kann daher nicht mit einem Westernsattel reiten. Wir haben den deutschen Offizierszaum aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg für unsere Pferde als Vorbild genommen und reiten mit normalen Dressursätteln. Es ist kein Faschingsreiten, sondern man kleidet sich in gedeckten Farben”, so Stefan Baumgartner.

Ist das Pferd als für geeignet befunden, fängt man langsam mit dem Training an: „Die größte Gewichtung beim Training liegt auf der Rittigkeit und der Dressurausbildung. Das ist das A und O, die Basis, auf der alles andere aufbaut. Slalomreiten ist schließlich im Grunde nichts anderes, als Dreier-Wechsel zu reiten“, führt Stefan Baumgartner ein Beispiel an. Und auch im Speedtrail kommt es auf Präzision an, die man nur durch Rittigkeit erreichen kann: „Die Hindernisfehler addieren sich derart, dass nur schnell zu reiten nichts bringt. Man muss immer abwägen, ob man schon Gas geben kann.”

Vorteile für die klassische Dressur 

Auch wenn man niemals vorhat, mit seinem Pferd auf Working Equitation-Turnieren zu starten, kann man mit einem Ausflug in diese Disziplin nicht nur seinen eigenen Horizont erweitern, sondern auch den des Pferdes: „Viele ‚klassische’ Dressurpferde profitieren von unserem Training. Gerade durch den Trail, dessen Hindernisse und Beschaffenheit auf vielen Dressurlektionen basiert, verstehen die Pferde eher den Sinn hinter den Lektionen. Wenn man eine klassische Volte reitet, versteht das Pferd oft nicht, warum es im Kreis laufen soll, wo der Platz doch so groß ist. Aber wenn wir eine Tonne auf dem Platz stellen, um die es herum galoppieren soll, konzentrieren sich die Pferde plötzlich besser, zentrieren sich fast von selbst und wissen sofort, was von ihnen verlangt wird, wenn man auf die Tonnen zureitet. Oder wenn man die Pylonen beim Slalom enger stellt, reitet man im Galopp Zweier- statt Dreierwechsel. Das erscheint dem Pferd sofort logisch und die Zweierwechsel gelingen so meist weniger problematisch. Das Gleiche gilt für das Rückwärtsrichten, das zwischen zwei Stangen gezeigt werden muss. Im Galopp reitet man in das Hindernis rein und pariert durch. Nach dem Rückwärtsrichten soll das Pferd geschlossen stehen. Das klappt meist recht schnell, da es keine Bande zum Anlehnen gibt. Es ist faszinierend, wie ein Pferd solche optischen Hilfsmittel aufnimmt und sich besser oder leichter in den Lektionen reiten lässt”, erklärt Stefan Baumgartner. 

„Viele klassische Dressurpferde profitieren vom Working Equitation-Training. Sie verstehen dadurch oftmals den Sinn hinter den Lektionen – wodurch vieles einfacher wird.“

Stefan Baumgartner

Wer nach dem WE-Turnier seine Prüfungsprotokolle liest, fühlt sich jedoch direkt wieder wie zuhause: „Die Bewertung in der Working Equitation ist genauso trocken und kleinkariert wie im klassischen Sport. ‘Schiefes Einreiten’, ‘steht nicht geschlossen’, ‘Taktfehler’ und ‘Unruhe bei X’ steht auch bei uns im Protokoll. Es herrschen die gleichen Bewertungskriterien, die auf der Skala der Ausbildung beruhen.”

Gelassenheitstraining par excellence

Neben der verbesserten Rittigkeit bietet die Working quasi ein Gelassenheitstraining inklusive: „Wenn man sein Pferd bis S ausgebildet hat, gibt es kaum etwas, womit man sich ‘richtig’ blamieren könnte. Das Pferd ist geländesicher und macht auch einen guten Sprung. Es ist ein extrem rittiges Pferd, das einen selten im Stich lässt. Die Nervenverfassung eines Work Equitation Pferdes – besonders wenn es viele Turnierplätze gesehen hat – ist in der Regel etwas ganz anderes als die eines klassischen Turnierpferdes.”

Daher lohnt sich ein kleiner Ausflug im Grunde für jeden Pferdesportler alleine schon deswegen, um das Training etwas abwechslungsreicher zu gestalten. „Working Equitation eröffnet fast jedem Reiter neue Horizonte oder zeigt einen Weg, den man normalerweise nicht eingeschlagen hätte. Man erhält neuen Input und einen anderen Zugang zu bestimmten Lektionen. Für jeden Reiter ist es auf jeden Fall eine Bereicherung, auch wenn er niemals auf einem Turnier antritt. Der Weg, den unsere Pferde nehmen, ist einzigartig, da das Pferd nicht nur ausgezeichnet gymnastiziert, sondern auch mental ganz anders gefördert wird“, ist sich Stefan Baumgartner sicher.

Working Equitation in Deutschland

Auf der Homepage des deutschen Working Equitation Verbandes www.working-equitation-deutschland-ev.de kann man sich ausführlich informieren und sich einen Überblick über das Trainingsangebot in seiner Region verschaffen.  

Ein Dressurreiter auf neuen Wegen

Auch für den rheinischen Dressurausbilder Marc Rose ist Working Equitation eine absolute Bereicherung. „Ich fand die spanische Arbeitsreitweise schon immer sehr interessant und als ich 2016 auf einem Lusitano-Gestüt in der Nähe von Malaga gearbeitet habe, habe ich oft einen Schafhirten dabei beobachtet, wie er auf seinem Pferd die Schafe vor sich hergetrieben hat und dabei sogar einen Fluss durchqueren musste”, erzählt der Pferdewirt. Nicht nur die Reitweise weckte sein Interesse, sondern auch die Pferde: „Da ich seit über 20 Jahren Berufsreiter bin, beobachte ich seit einiger Zeit mit Sorge den Wandel in der Pferdezucht. Die Tendenz geht immer mehr weg von Gebrauchspferden, die vielseitig einsetzbar sind. Die Zucht hat nur noch den großen Sport als Ziel. Die Pferde haben zwar viel mehr Bewegungspotenzial und springen deutlich besser, sind aber auf der anderen Seite für die breite Masse der Reiter immer schwieriger zu bedienen. Bei der spanischen Reitweise und bei den Iberern ist das etwas anders, denn dort wird in erster Linie darauf geachtet, dass man die Pferde – obwohl sie viel Ausdruck besitzen sollen – gebrauchen kann.”

Davon entfernt sich der Dressursport in Deutschland seiner Meinung nach immer mehr: „Der heutige Turniersport ist mit immer mehr Druck belastet und die Pferde werden zu sehr in eine Form gepresst. Auch wenn Dressurreiten bedeutet, dass man das, was das Pferd von zuhause mitbringt, fördert, hat sich die heutige Dressur dahin entwickelt, das Äußerste aus dem Pferd herauszuholen und das oftmals so schnell wie möglich. Damit kommt man in der Working Equitation nicht weit. Man muss das Pferd hier eher überzeugen und sich andererseits auch auf sein Pferd verlassen können. Und ich glaube genau deshalb, dass Working Equitation noch weiter boomen wird”, prophezeit Marc Rose. „Im klassischen Turniersport können sich normalverdienende Reiter kaum noch Pferde leisten, mit denen man vorne mitmischen kann. Früher hat man ein normales Pferd gehabt, das sehr rittig war, und damit immer eine Chance gehabt. Mit einem Norweger hat man heutzutage in der E-Dressur schon fast keine Schnitte mehr. Heute ist ein Pferd, das sich spektakulär bewegt, auch trotz Fehlern meistens besser“, findet der Dressurausbilder.

„Im Bereich der Working Equitation kann man dagegen auch mit normalen Pferden, die rittig sind, vorne mitreiten. Und jede Rasse ist dafür geeignet. Bei den Deutschen Meisterschaften der Working Equitation gab es zum Beispiel einen Haflinger, der hat im Speed Trail mit seiner kleinen, kratzigen Galoppade alle abgehangen. Der hat einen viel kürzeren Bremsweg und kann deutlich schneller beschleunigen, weil er kleiner und drahtiger ist. Das ist total spannend und man bekommt auch einen ganz anderen Blick dafür, was ein gutes Pferd ausmacht. Entscheidend sind letztlich vor allem der Charakter und die Einstellung”, so Marc Rose.

„In der Working Equitation kann man auch mit normalen Pferden, die rittig sind, vorne mitmischen.“

Marc Rose

Mit dem S-Dressurpferd Rinder treiben

Zum Glück kann Marc Rose ein Sportpferd mit ausgezeichneten inneren Werten sein Eigen nennen. Schon als Fohlen kaufte er den schicken Dunkelfuchs Faun, der seinen Vater Fidermark nicht verleugnen kann. Faun war mit Marc Rose beim Bundeschampionat platziert und sammelte zahlreiche Siege und Platzierungen bis zur S**-Dressur. Mittlerweile ist der Hengst über seine sportlichen Leistungen gekört und für drei Zuchtverbände zugelassen. „Mit seinen 21 Jahren war Faun irgendwann einfach zu alt für den gehobenen Turniersport. Dadurch, dass er aber sehr rittig ist und man jede Lektion am Punkt reiten kann, eignet er sich perfekt für Working Equitation”, erklärt Marc Rose. 

Marc Rose und sein Nachwuchspferd Klaus Kinski bei der Rinderarbeit.

Ob ein Dressurpferd, dass jahrelang nur Pirouetten und Piaffen geübt hat, sich im Alter noch an das Rindertreiben gewöhnt? Marc Rose hatte keine Bedenken: „Die Rinderarbeit fand Faun direkt richtig gut. Ich glaube, wenn die Pferde Angst bei der Rinderarbeit haben, hat meistens der Reiter Schuld. Reiten ist einfach Kopfsache. Sobald das Pferd merkt, dass die Rinder zurückweichen, haben sie in der Regel auch Spaß daran, diese vor sich her zu treiben. Man muss aber aufpassen, dass die Pferde die Kühe nicht beißen, wenn sie der Ehrgeiz packt und die Rinder nicht schnell genug laufen.” Der Rinderschein dient aber nicht nur dazu, dass sich die Pferde an die Kühe gewöhnen, sondern auch als Bescheinigung für den Reiter: „Die Reiter sollen auch lernen im Anbetracht des Tierschutzes richtig mit den Rindern umzugehen. Der Reiter darf nicht vor lauter Ehrgeiz so viel Druck machen, dass die Rinder die Bande hochspringen. Das Rind soll wie ein Partner behandelt werden”, erklärt Rose.

Besitzen Reiter und Pferd den Rinderschein, steht dem Start in der Klasse L nichts mehr entgegen: Abhängig von den verschiedenen Klassen muss man ein bestimmtes Rind aus der Herde separieren und über die Mittellinie treiben. Ab der Klasse M wird eine längere Distanz verlangt und ab Klasse S muss man das Rind in einen Pferch hineintreiben. Hier kommt es aber nicht nur auf das Können an, weiß Marc Rose zu berichten: „Auf dem Turnier spielt bei der Rinderarbeit auch der Zufall eine große Rolle. Als Reiter kann man Glück haben, dass die Rinder schon wissen was los ist und von alleine über die Linie laufen. Oder man hat Pech und die Kuh hat schon gelernt, mit den Pferden umzugehen und sich ganz hinten in der Herde zu verstecken. Dann wird es deutlich schwieriger – oder manchmal auch unmöglich.”

Obwohl Faun mit den Anforderungen der Working Equitation kein Problem hat und in der Dressur immer punkten kann, setzt Marc Rose ihn nur dosiert ein und hat stets ein Auge auf seine Konstitution: „Da Faun mit nunmehr 22 Jahren schon ein bisschen älter ist, gebe ich im Speedtrail auch nicht mehr Vollgas, sondern reite lieber etwas vorsichtiger. Im Slalom hat man aber mit einem Dressurprofessor wie Faun natürlich Vorteile. In Dreierwechseln durch den Slalom, das ist ein Klacks für ihn, da flutscht er nur so durch. Er hat richtig Spaß daran und er braucht das auch immer noch, dass man auf ein Ziel hinarbeitet und kontinuierlich trainiert.”

Tausche Dressurfrack gegen Tweet-Jackett

Ein weiterer Bonuspunkt sei die eher frei wählbare Reitkleidung: „Ich finde es viel angenehmer, nicht in der üblichen schwarz-weißen Turnierkluft an den Start gehen zu müssen, denn nach einer Prüfung ist direkt alles dreckig”, so Marc Rose. „Im Vordergrund steht bei der Working Equitation die Brauchtumspflege. Man versucht, sich in Anlehnung der traditionellen Reitweise zu kleiden. Ich selbst folge der altenglischen Mode, da ich gerne in meinem normalen englischen Sattel und auf Kandare reite. Dann versuche ich das auch kleidungstechnisch in gedeckten Tönen mit Tweet umzusetzen.”  

Wie die Kleidung sei auch die Stimmung auf dem Turnier eine andere: „Bei der Working Equitation besteht nicht so ein extremer Konkurrenzkampf untereinander. Da stehen die Leute am Rand und fiebern mit einem mit. Auf einem normalen Turnier passiert das eher selten. Deswegen ist Working Equitation attraktiver für mich und ich sehe es definitiv als Zukunft in der Reitsportszene, da es vor allem Breitensportler anspricht.”

Der Zusammenhalt entstehe durch einen weiteren Faktor: „Dadurch, dass die Veranstaltungen wie Vielseitigkeits- oder Fahrturniere über drei Tage gehen, lernt man die anderen Teilnehmer viel besser kennen. Es gibt auch viele Leute, die nächtigen dort in Wohnwagen oder in den Transportern und die Pferde stehen in abgesteckten Paddocks. Alle Fahrzeuge sind wie eine Wagenburg aufgestellt, da kommt Campingatmosphäre auf. Es ist auch viel familiärer, da es fast immer die gleichen Teilnehmer sind. Man trifft eigentlich immer dieselben Leute auf den Turnieren.”

Bessere Lektionen durch Trailarbeit

Auch wenn man Marc Rose im Dressurreiten nichts vormachen muss, musste er sich bei den Aufgaben, die bei der Working Equitation verlangt werden, doch etwas umstellen: „Es werden etwas andere Aufgaben geritten, die lediglich eine Anlehnung an die klassischen Dressuraufgaben darstellen. Bei der ursprünglichen spanischen Arbeitsreitweise müssen die Pferde Schritt gehen oder galoppieren, dementsprechend sind die Aufgaben angelegt. Es wird nur wenig Trab verlangt und höchstens Tritte verlängern gezeigt.” Denn der Fokus liegt vor allem auf einem: „Das Pferd soll die Lektionen willig ausführen. Die Rittigkeit steht im Vordergrund und nicht ein spektakulärer Bewegungsablauf. Der Reiter soll sich auf seine Arbeit konzentrieren und das Pferd macht mit.” 

Auf machen Veranstaltungen ist der Trail nicht nur auf den Turnierplatz beschränkt, sondern führt auch durch das umliegende Gelände.
Foto: Graffity

Durch die vielseitige Ausbildung und die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Dressur, sei Faun insgesamt noch besser geworden: „Sogar die Wechsel sind durch die Trailarbeit besser geworden. Durch die Slalomarbeit springt er mehr durch und der Rücken ist freier geworden. Faun ist auch deutlich motovierter bei der Sache, wenn wir für ein Working Equitation Turnier üben, als wenn er eine Dressuraufgabe abspulen muss. Bei der Working Equitation steht das Miteinander mit dem Pferd deutlich mehr im Vordergrund als in der klassischen Reiterei. Sich hier neue Felder zu erschließen, näher am Pferd zu sein und mit ihm zusammen zu arbeiten, das hat mir noch einmal einen richtigen Kick gegeben.”

Der RRP-Experte: Marc Rose

Als Pferdewirt hat Marc Rose sich der klassischen Dressur verschrieben, macht mit seinen Pferden aber auch gerne Ausflüge ins Filmgeschäft. Als Jugendlicher ritt er bei Wolfgang Winkelhues und absolvierte bei Rick Klaassen in Hilden seine Ausbildung. Nach Beschäftigungen bei Münstermann in Soest und beim Rheinischen Pferdestammbuch in Wickrath ist Marc Rose seit vielen Jahren als selbständiger Ausbilder tätig.

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