Ein gut bemuskeltes Pferd, das körperlich fit und in der Lage ist, die ihm gestellten Aufgaben in der Dressur, im Springen oder in der Vielseitigkeit zu erfüllen – das ist der Wunsch eines jeden ambitionierten Reiters. Doch wie trainiere und unterstütze ich mein Pferd beim Aufbau der Muskulatur? Wie funktioniert der Muskelaufbau im Pferdekörper und was braucht er dazu? Dressurausbilder Volker Eubel und Tierärztin Dr. Lisa Ann Beluche geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Ein an den richtigen Stellen proper bemuskeltes Pferd sieht nicht nur schöner und gesünder aus als ein Tier mit wenig ausgebildeter Muskulatur, es ist in aller Regel auch fitter und den Aufgaben unter dem Sattel besser gewachsen. Nicht umsonst ist es das übergeordnete Ziel der klassischen Reitlehre, ein Pferd gesunderhaltend zu trainieren. Gemäß der Ausbildungsskala der Deutschen Reiterlichen Vereinigung geht es so zunächst einmal darum, Takt, Losgelassenheit und Anlehnung als Grundvoraussetzungen für das weitere reiterliche Vorhaben zu erarbeiten. Schon in der sogenannten Gewöhnungsphase stecken mit einem taktmäßig gehenden Pferd, das losgelassen in seinem Körper ist, also erste Anforderungen, die auch für den Muskelaufbau essenziell sind. Mithilfe von Schwung und Geraderichtung entwickelt sich dann die Tragkraft. Auch die Muskulatur bildet sich dementsprechend weiter aus, um schließlich in der Versammlung den schwersten Grad ihrer Beanspruchung zu finden. Versammelnde Übungen sind zwar besonders anstrengend für das Pferd, sorgen jedoch zugleich für mehr Tragkraft, und diese wiederum ist besonders wichtig für die langfristige Gesunderhaltung des Pferdes. Denn sein Gewicht verlagert sich dann immer mehr von der Vorhand auf die von Natur aus kräftigere Hinterhand. Indem der Reiter also sein Pferd im Sinne der Ausbildungsskala trainiert, erarbeitet er sich nicht nur einen durchlässigen, rittigen und leistungsfähigen Partner, sondern trägt damit auch effektiv zu einer guten körperlichen Verfassung seines Vierbeiners bei – und zwar disziplinübergreifend.
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“Korrektes Training ist das A und O für den Muskelaufbau”, weiß auch Volker Eubel, Reiter, Richter und Dressurausbilder bis Grand Prix. Das allein reicht jedoch nicht aus, um den Muskelaufbau beim Pferd entsprechend voranzubringen: “Es kommt sehr darauf an, wie ein Pferd trainiert wird. Aber auch das Management drumherum muss stimmen – vom Equipment über die Haltung bis hin zur Fütterung.”
“Korrektes Training ist das A und O für den Muskelaufbau.”
Volker Eubel
Eiweiß: Nahrung für den Muskel
“Das Pferd benötigt zunächst einmal ein ausgewogenes Grundfutter mit speziellen Aminosäuren, die das Muskelwachstum fördern”, erklärt Volker Eubel. “Das Ganze basiert auf Aminosäuren als wichtigsten Bausteinen für den Aufbau und die Weiterentwicklung der Muskulatur”, ergänzt Dr. Lisa Ann Beluche. “Zu den wichtigsten Aminosäuren zählen in diesem Zusammenhang Lysin, Methionin und Threonin. Sie gehören zu den sogenannten essenziellen Aminosäuren, die ein Organismus nicht selbst herstellen kann. Das bedeutet, sie müssen stattdessen über die Nahrung aufgenommen werden.”
Tatsächlich sind sowohl Heu als auch Hafer natürliche Eiweißquellen, in denen unter anderem auch die genannten Aminosäuren enthalten sind. Sie zählen somit meistens zum normalen Speiseplan eines Pferdes, sodass der grundsätzliche Bedarf in der Regel gedeckt wird. Natürlich gibt es aber auch zahlreiche Arten von Zusatzfutter, die den Pferdekörper mit speziellen Aminosäuren versorgen. Aber Achtung: Auf die richtige Menge kommt es an. “Normalerweise spricht man von circa 1,7 bis 2 Kilogramm Heu pro 100 Kilogramm idealem Körpergewicht. Dazu kommen meistens maximal zwei bis drei Kilogramm Kraftfutter am Tag. Hiermit wird der Eiweißbedarf des Pferdes im Regelfall abgedeckt. Wer sich jedoch unsicher ist, kann zusätzlich auf kommerzielle Aminosäuren-Ergänzungspräparate zurückgreifen”, erklärt Dr. Lisa Ann Beluche. “Zu viel Eiweiß ist allerdings auch nicht gut, da das Pferd es dann nicht mehr richtig verarbeiten kann. Es gilt also, die richtige Mischung zwischen ausreichend und zu viel Eiweiß für sein Pferd herauszufinden.”
Mit der Verdauung wird das Eiweiß dann im Magen in seine Bestandteile, die Aminosäuren, zerlegt. Diese werden teilweise im Dünndarm aufgenommen, aber auch von der Leber weiterverarbeitet. Da Aminosäuren stickstoffhaltig sind, scheiden zudem die Nieren den überschüssigen Stickstoff wieder aus. “Eine gute Balance in der Zufuhr von Eiweiß ist wichtig, damit das Pferd dieses optimal weiterverwerten kann. Dazu müssen auch Leber und Niere korrekt arbeiten. Ob das der Fall ist, lässt sich beispielsweise anhand einer Blutuntersuchung überprüfen, die ich den Besitzern meiner Patienten daher in regelmäßigen Abständen ans Herz lege”, so die Tierärztin. “Voraussetzung für den Muskelaufbau ist nämlich auch ein gesundes Pferd, das die Möglichkeit hat, in Darm, Leber und Niere die Eiweiße entsprechend zu verarbeiten.” Zu beachten ist außerdem, dass die Eiweißzufuhr im richtigen Verhältnis zum Alter sowie der Arbeitsbelastung des Pferdes steht. So hat beispielsweise der gut trainierte Sportpartner eines ambitionierten Reiters einen anderen Bedarf als eine tragende Stute oder ein älteres Pferd.
“Wichtig ist eine ausgewogene Eiweißzufuhr, die dem Alter und der
Arbeitsbelastung des Pferdes angepasst ist.”
Dr. Lisa Ann Beluche
Erholung: Ohne geht es nicht
Neben der richtigen Fütterung, einer adäquaten Haltung sowie gut passender Ausrüstung spielt aber natürlich auch die Art des Trainings eine entscheidende Rolle. Wer dabei die Ziele der Ausbildungsskala der Deutschen Reiterlichen Vereinigung verfolgt, ist grundsätzlich auf einem guten Weg. Doch auch hier kommt es unweigerlich auf die Intensität an. “Einer der häufigsten Fehler, die beim Muskelaufbau gemacht werden, ist Überforderung”, weiß Volker Eubel. “Viel hilft in diesem Fall nämlich tatsächlich nicht viel. Ein Muskel wächst nicht in der Arbeitsphase, sondern in der Erholungsphase.” Der Ausbilder und die Tierärztin sind sich einig: Ein überbeanspruchter Muskel kann nicht wachsen. Im Gegenteil: Bei zu viel Training übersäuert die Muskulatur, verspannt sich und bildet sich im schlechtesten Fall womöglich sogar zurück. “Ich empfehle, ein Pferd maximal an zwei bis drei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten und es am nächsten Tag nur leicht und entspannt zu bewegen. Ein Pferd sollte auf keinen Fall sechsmal in der Woche hart arbeiten, sondern sich mindestens zweimal wöchentlich erholen können”, so Volker Eubel. “Dabei ist es völlig egal, ob ich für eine A-Dressur oder den nächsten Grand Prix trainiere.” Auch Dr. Lisa Ann Beluche weiß: “Die Muskulatur braucht das Spiel zwischen Anspannung und Entspannung und auf jeden Fall genügend Möglichkeit zur Regeneration, um sich optimal ausbilden zu können.”
Winterarbeit nutzen
Zur Vorbereitung auf die Turniersaison sollten laut Volker Eubel bereits die Wintermonate genutzt werden. “Die Winterarbeit eignet sich ideal dafür, an den Übungen der vorangegangenen Saison zu feilen und diese noch weiter zu verbessern. Man kann sich aber auch mit genügend Vorlauf auf den Sprung in die nächsthöhere Klasse vorbereiten”, so der Ausbilder. “Wichtig ist, sich und seinem Pferd dabei neben den Trainingseinheiten auch genügend Ruhepausen zu gönnen und das Pferd nicht durchgängig voll zu arbeiten, sondern es immer wieder auch ‘nur’ zu gymnastizieren.”
Auch im Hinblick auf den Aufbau beziehungsweise den Erhalt der Muskulatur ist es sinnvoll, den Winter über im Training zu bleiben. “Um beim Thema Muskelaufbau nicht wieder von vorne zu beginnen, empfiehlt es sich, das Pferd zumindest leicht im Training zu behalten. Wer seinem Sportpartner trotzdem eine Winterpause gönnen will, sollte dies lieber mit einem längeren Zeitraum der Niedrigbelastung tun, als eine mehrwöchige radikale Pause einzulegen. Dies ist gerade im Hinblick auf die rechtzeitige Vorbereitung der nächsten Turniersaison sinnvoll.”
Beide Experten empfehlen grundsätzlich ausgiebiges Schrittreiten vor und nach der Arbeitsphase, die wiederum nicht länger als 30 bis 40 Minuten dauern sollte. “Langes Schrittreiten ist nicht nur essenziell, um die Muskulatur des Pferdes vor dem Arbeiten entsprechend aufzuwärmen, sondern es fördert zugleich die Kondition”, betont Volker Eubel. Diese gelte es, ebenso schonend aufzubauen. “Zum Konditionsaufbau kann ich beispielsweise Intervalltraining nutzen. Aber auch das Galoppieren in ruhigem Tempo über einen längeren Zeitraum, idealerweise im Gelände, verbessert die Kondition eines Pferdes.” Wie die Muskulatur profitiert auch die Kondition des Vierbeiners von einem Wechselspiel der Intensität. Und natürlich sollte ebenso beim Konditionsaufbau darauf geachtet werden, das Pferd nicht zu überfordern. “Der Reiter sollte versuchen, auf die Anzeichen seines Pferdes zu achten und es nicht zu übermüden, um nicht eventuell eine Widersetzlichkeit oder sogar eine Verletzung zu provozieren”, rät Dr. Lisa Ann Beluche.
“Ein Muskel wächst in der Erholungsphase.”
Volker Eubel
Abwechslung: Der Schlüssel zum Erfolg
Eine weitere bedeutende Komponente im Trainingsalltag bildet die Abwechslung. Damit ist zum einen die richtige Mischung aus Arbeits- und Erholungsphasen für das Pferd gemeint. Zum anderen spielt aber auch die vielseitige Ausbildung eine tragende Rolle. “Ein abwechslungsreicher Trainingsplan wirkt sich positiv auf alle Bereiche der Pferdegesundheit aus”, weiß Dr. Lisa Ann Beluche. “So ist beispielsweise das Gehen auf verschiedenen, auch mal unebenen Böden im Gelände wertvolles Mikrotraining für Muskeln, Bänder und Sehnen. Nicht jeden Tag auf glatt gezogenem Hallenboden zu gehen, schult den Pferdekörper in vielerlei Hinsicht. Abwechslung ist aber nicht nur gut für die körperliche Gesundheit, sondern schützt auch die Psyche des Pferdes vor Überlastung.”
“Cavalettiarbeit ist eine effektive Methode zur Förderung der Muskulatur, die obendrein noch Spaß und Abwechslung bringt”, bestätigt Volker Eubel. “Aber auch Longieren fördert den Muskelaufbau, da das Pferd dann ohne Gewicht auf dem Rücken gehen kann.” Schließlich geht es jedoch ebenso darum, innerhalb einer Trainingseinheit dafür zu sorgen, dass es nicht langweilig wird. Verschiedene Aufgaben sprechen den Pferdekörper in unterschiedlicher Weise an und beanspruchen bestimmte Muskelpartien. “Das A und O sind in jedem Fall Übergänge. Sie fördern die Aktivität und die Durchlässigkeit des Pferdes. Übergänge zwischen den Gangarten oder auch innerhalb einer Gangart trainieren effizient die Muskulatur.” Gleiches gilt für gebogene Linien und Handwechsel, die man regelmäßig einbeziehen sollte. “Es ist wichtig, darauf zu achten, das Pferd auf beiden Händen gleichmäßig zu trainieren”, so Volker Eubel.
“Ein abwechslungsreicher Trainingsplan wirkt sich positiv auf alle Bereiche der Pferdegesundheit aus.”
Dr. Lisa Ann Beluche
Saisonplanung: Training mit Bedacht
Ein an das Alter und den Ausbildungsstand des Pferdes angepasster, mit genügend abwechslungsreichen Elementen versehener Trainingsplan erleichtert auch die Vorbereitung einer turniersportlichen Saison. “Bei der Saisonplanung lege ich großen Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Turnierstarts und Pausen”, so Volker Eubel. “Regenerationsphasen sind unerlässlich für Geist, Körper und Muskulatur. Gut trainierte, gesunde Pferde können zwar sehr viel leisten – sie brauchen aber in jedem Fall ihre Zeit zur Regeneration.”
Wer sich auf eine Prüfung vorbereitet, sollte dafür sorgen, dass die darin gestellten Aufgaben zum Zeitpunkt des Turniers nicht neu sind. “Sowohl Reiter als auch Pferd sollten sich frühzeitig mit der jeweiligen Aufgabe vertraut machen”, empfiehlt Volker Eubel. “Nur so kann der Reiter seinem Pferd dann auch in der Prüfungssituation die nötige Sicherheit vermitteln.” Ob ein Pferd am Tag vor dem Turnier intensiv trainiert oder nur wenig belastet werden sollte, ist nach Erfahrung des Ausbilders eine Typfrage. “Es gibt Pferde, die einen Tag vorher gut gymnastiziert werden müssen, wohingegen anderen mehr mit einer Pause geholfen ist. Wieder andere Pferde sind vielleicht sogar am besten, wenn sie ein paar Sprünge machen oder ins Gelände gehen.”
Bei Erarbeitung der in der Prüfung geforderten Aufgaben gilt übrigens wieder: Maßvolles Üben statt unzähliges Wiederholen. “Der Reiter sollte nicht ständig die einzelnen Lektionen trainieren, da – insbesondere bei intensiven Übungen wie Seitengängen oder Verstärkungen – das Pferd ansonsten schnell überstrapaziert werden kann. Das wiederum bringt nicht nur keine Verbesserung in der Lektion selbst, sondern führt auch zu Verspannungen in der Muskulatur, die dem eigentlichen Trainingsziel entgegengesetzt sind”, so Volker Eubel. “Reiter und Pferd profitieren stattdessen mehr davon, wenn sie mit guter Gymnastizierungsarbeit und den nötigen Ruhepausen die richtige Basis schaffen, auf der sich Lektionen auch mit wenigen Wiederholungen einfach aufbauen lassen.”
“Gut trainierte Pferde können viel leisten, brauchen aber auch genügend Zeit zur Regeneration.”
Volker Eubel
Elisa Schnitzler
Der RRP-Experte
Volker Eubel ist Reiter, Richter und Ausbilder bis Grand Prix in der Dressur. Er ist Träger des Goldenen Reitabzeichens und hat nicht nur im Sattel, sondern auch als Trainer zahlreiche Erfolge vorzuweisen. So trainiert er seit vielen Jahren das Para-Dressurteam für Singapur und nahm mit seinen Schützlingen bereits mehrfach erfolgreich an Weltreiterspielen und Paralympischen Spielen teil. Auf dem Lerchenhof in Köln betreibt er einen Dressurausbildungsstall, wo er sowohl zwei- als auch vierbeinige Schüler bis zur schweren Klasse begleitet.
Die RRP-Expertin
Dr. Lisa Ann Beluche stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten von Amerika und ist sowohl Amerikanische als auch Europäische Spezialistin in Veterinär-Chirurgie – Schwerpunkt Pferd. 1999 kam sie nach Deutschland und erwarb zudem den Titel der Fachtierärztin für Pferde und Pferdechirurgie. Sie war als Leiterin der Chirurgischen Abteilung in den Pferdekliniken Burg Müggenhausen und am Kottenforst tätig und betreibt nun eine eigene Praxis in Wachtberg.