Das Thema Nachwuchsarbeit ist ein großes in den Reitvereinen. Manche bieten klassischen Longenunterricht für die Jüngsten an, aber auch „Pampers-Gruppen“ beim Voltigieren erfreuen sich großer Beliebtheit. Der erste Kontakt zum Pferd und die dort gemachten Erfahrungen beeinflussen entscheidend die spätere Karriere im Sattel. Wie der optimale Kinderreitunterricht aussehen kann, haben uns zwei Ponyreitschulen verraten.
Was tut Mutter, wenn sie auf der Suche nach der geeigneten Reitschule für ihr Kind ist, aber einfach nicht fündig wird? Sie gründet ihre eigene Ponyschule! So zumindest erging es Britta Berse. Als ihr die Angebote in den Vereinen nicht gefielen, schaffte sie sich ihr eigenes Schulpony an. Das war 2010.
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„Meine Kriterien bei meiner eigenen Suche nach einer Reitschule damals waren zum einen, dass meine Kinder auf glücklichen Pferde das Reiten lernen und dazu gehörte für mich auch, dass die Ponys immer draußen sind.“ Ein weiteres Kriterium: „Viele Reitschulen hatten nur große Pferde für den Anfängerunterricht. Aber mein Kind lernt ja auch auf einem kleinen Fahrrad das Radfahren und nicht auf einem Herrenrad. Daraus entstand später das FN-Initiative „Kleine Kinder, kleine Ponys“. Zudem gefiel Berse nicht, wie den Kindern das Reiten beziehungsweise der erste Kontakt zum Pferd in vielen Ställen beigebracht wurde. Also entwickelte sie ihr ganz eigenes Konzept.
40 Schulponys
Aus dem ersten eigenen Lehrpony ist ein Betrieb mit 40 Ponys geworden, der unter dem Namen „Familien-Reitschule“ in Velbert ansässig ist und sich ungebrochen großer Nachfrage erfreut. „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, pferdebegeisterten Kindern ab drei Jahren spielerisch und unkonventionell den ersten Umgang mit Pferden und Ponys näherzubringen“, erzählt die Gründerin. Dabei ist die Familien-Reitschule eine der ersten in NRW, in der Reitlehrer eine Zusatzqualifikation speziell für den Kinderreitunterricht erworben haben.
Los geht’s für Kinder ab drei Jahren mit dem Pony-Club. Dort sitzen die Kleinsten auch schon im Sattel und werden von den Eltern geführt, lernen aber ebenso alles über die Bedürfnisse eines Pferdes und das Putzen. Eine Einheit dauert 30 Minuten und bevor die Eltern die Ponys führen dürfen, werden auch sie in der Kommunikation vom Boden aus geschult. Im nächsten Schritt geht es an den klassischen Longenunterricht, hier gehört aber nicht nur das Reiten, sondern auch Putzen, Trensen und Satteln zum 30-minütigen Unterricht. „Die Kinder müssen da schon ein Stück weit Verantwortung übernehmen und lernen, wie sie mit den Ponys umgehen.“ Zusätzlich gibt es für alle Longenkinder einmal im Monat Theorieunterricht rund ums Pferd – vom Verhalten über die Haltung, Fütterung und Gesundheit der Vierbeiner, aber auch das Reiten in der Theorie. Kurzum: Alles, was später beim Pferdeführerschein abgefragt wird, lernen die Familien-Reitschulen-Kids bereits.
Empathischer Unterricht
Im nächsten Schritt besteht eine Einheit aus eineinhalb Stunden – dann gehört auch dazu, dass die Kinder ihr Pony selbst von der Wiese holen, um es dann für den Unterricht fertigzumachen. Der dauert dann ca. eine Dreiviertelstunde reiten und das Pony dann wieder auf die Wiese bringen. Großer Bestandteil des Unterrichts im Sattel ist das bildliche Erklären. „Bei uns liegt der Fokus auf einem empathischen, freundlichen Unterricht auf glücklichen Pferden“, betont Britta Berse. Das Konzept begeistert nicht nur die Kinder: Vielen Eltern gefällt es so gut, dass sie selbst auch wieder Lust bekamen, in den Sattel zu steigen. So wurde aus Berses Kinder-Reitschule eine Familien-Reitschule, in der rund 30% der Schüler erwachsene Wiedereinsteiger sind.
„Vor allem für die Kinder ist es wichtig, die Pferde wirklich zu erleben und zu verstehen, dass sie keine Fußballschuhe sind, die man einfach in die Ecke stellen kann.“ Petra Berse betont: „Wir haben genug Diskussionspotenzial über den Reitsport, immer mehr Stimmen werden laut, ob Pferde wirklich geritten werden müssen. Umso wichtiger ist unser Job an der Basis, einfach diese Empathie zum Tier zu vermitteln und die Bedeutung, die Pferde für Kinder haben können, nach außen zu transportieren.“ Sie ergänzt ein Beispiel: „Erst gestern hatten wir noch diese Situation: Als seine Reitstunde zu Ende war, hat sich ein Junge von uns verabschiedet und ist dann zu seinem Pony gegangen, hat es ganz herzlich umarmt und an sich gedrückt, innegehalten und den Duft noch einmal eingesogen. Das ist genau das, was wir vermitteln wollen.“
Reiten als „Therapie“
Sowohl die Ponys als auch die Reitlehrer seien mittlerweile auch eine Art Therapeut. „Wir sind natürlich kein therapeutisches Fachpersonal, aber uns gelingt es immer wieder, Kinder aufzufangen, die durch die Pandemie Ängste und Depressionen entwickelt haben, unter der Trennung ihrer Eltern leiden, aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen oder einfach nur Schulstress haben.“ In einer Gesellschaft, in der der Leistungsdruck so hoch sei und so viel gemobbt werde, entwickele sich ein Betrieb wie ihre Familien-Reitschule zum Seelenort für die Kinder – aber oftmals auch für die Eltern.
Um den jüngsten Schülern ein Gefühl fürs Pferd zu vermitteln, kommen so genannte Reiterspiele zum Einsatz. Die Eltern führen die Ponys, während die Kinder dazu animiert werden, Übungen auf dem Pferderücken zu machen, die für Balance und Gleichgewicht förderlich sind. „Ein Bild, das wir gerne verwenden, ist das Backen einer Pizza. Dafür brauchen wir Mehl, das greifen wir oben rechts aus der Luft. Das Wasser ist am rechten Fuß und am Schweif ist das Salz. An den Ohren des Ponys greifen wir nach den Tomaten und dann kneten wir auf dem Sattel den Teig.“ Genau diese Bilder sorgen dafür, dass auch die ängstlicheren Kinder ihre Anspannung verlieren und sich auf die gestellten Aufgaben konzentrieren. „Sie denken nicht mehr so viel nach, sie machen einfach.“
Für zusätzliche Bewegung und Fitness sorgt außerdem ein Hobby-Horsing-Angebot. „Die Kinder heutzutage bewegen sich oft viel weniger, haben kein gutes Körpergefühl und keine Kondition. Das kann auch wunderbar mit Steckenpferden geübt werden“, hat Britta Berse festgestellt. Auch gehen schon die Kleinsten schon in ihrer Führgruppe ins Gelände, lernen dort verschiedene Untergründe im Sattel kennen und auch, dass es mal ein bisschen bergauf und bergab geht.
Auch gibt es nach jeder Reitstunde – egal, in welcher Altersklasse – ein kleines Feedbackgespräch für jeden Reitschüler. „Wir fragen sie, wie es für sie war. Wenn sie nur das aufzählen, was nicht geklappt hat, erklären wir, warum das so war und wie sie es beim nächsten Mal besser machen können. Zusätzlich heben wir hervor, was alles richtig gut geklappt hat.“ Denn auch das sei ein wichtiger Aspekt: Niemand soll mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass nichts so recht gelingen wollte, sondern auch mit dem Bewusstsein, dass es auch positive Aspekte gab, auf die das Kind stolz sein kann.“
Monats-Beiträge für Planungssicherheit
In der Familien-Reitschule gibt es bewusst keinen Beitrag, der für jede einzelne Einheit gezahlt wird, sondern einen Monats-Beitrag. „Das sorgt dafür, dass die Stunden auch wirklich eingehalten werden und die Kinder regelmäßig im Sattel sitzen. Gerade diese Kontinuität ist wichtig.“ Zusätzlich gebe diese Kostenstruktur auch ihrer Reitschule mehr Planungssicherheit. „Wenn ich weiß, es kommen 403 Reitschüler die Woche, kann ich ganz anders kalkulieren und mit dem Geld haushalten.“
Doch nicht nur die regelmäßigen Reitstunden werden angeboten, darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Pferdeführerschein und Reitabzeichen zu absolvieren. Es gibt Bodenarbeitslehrgänge, Ausritte und verschiedene Ferienaktionen.
Biesenbach gewinnt Gründerwettbewerb
Ein ganz ähnliches Konzept verfolgt Evelyn Schmitz in ihrer Reitschule Biesenbach in Odenthal. Sie absolvierte 2016 die Zusatzqualifikation Kindertrainer im PSV Rheinland und gewann mit dem Konzept ihrer Kinderreitschule den Gründerwettbewerb der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Auch bei ihr steht das Miteinander mit den Pferden und Ponys sowie die Verbundenheit mit der Natur im Mittelpunkt des Reitenlernens. Dafür stehen 16 Ponys – vom Shetty bis zum Haflinger – sowie vier Großpferde zur Verfügung. Auch hier startet das Angebot für Kinder ab einem Alter von drei Jahren. „Im Mini-Club stehen Spiele in Theorie und Praxis im Mittelpunkt, die Kindern lernen, das Pony zu putzen und machen die ersten Erfahrungen auf dem Pferderücken.“ Schnell geht es dann auch raus in die Natur – die ersten kleine Ausflüge in den Wald werden unternommen.
Wer dort die ersten Erfahrungen gesammelt hat und sicherer im Umgang mit und auf dem Pferd ist, wechselt in den Maxiclub und kann an der Longe im Trab und Galopp seine Balance festigen. Auch hier ist das Gelände fester Bestandteil der Ausbildung. In der anschließenden Anfängergruppe müssen die Kinder ihre Pferde selbstständig satteln und trensen und sammeln die ersten Erfahrungen im Abteilungsreiten. Wer sein Pferd schließlich auf beiden Händen frei reiten kann, darf in die Fortgeschrittenenstunde wechseln.
Alle Sinne werden geschult
„Früher waren wir viel in der Natur und haben uns viel bewegt, das ist heute anders“, hat Evelyn Schmitz festgestellt. Genau deswegen sei das Reiten und die gemeinsame Zeit mit Pferden so wertvoll für die Kinder. „Sie lernen Verantwortung, Respekt und verbessern ihr Sozialverhalten.“ Auch die Schulung des Körpergefühls sei ein wichtiger Aspekt. „Das fängt schon bei den Kleinsten an. Dort machen wir zum Beispiel Spiele wie: Die Kinder reiten ohne Sattel, wenn die Musik stoppt, müssen sie schnell vom Pony springen. Wer zuletzt den Boden berührt, scheidet aus.“ Ebenso gehören Turnübungen wie Purzelbaumschlagen zum Trainingsprogramm. Im Sattel selbst werden alle Sinne der Kinder geschult – bis auf den Geschmackssinn. „Die Koordination und das Körpergefühl werden verbessert und auch das räumliche Denken.“
Fest zum Konzept der Reitschule Biesenbach gehört das Geländereiten. „Ich finde es wichtig, dass die Kinder nicht immer nur auf einem abgeschlossenen Dressurplatz oder in der Halle reiten, sondern auch mit den Ponys über eine Wiese galoppieren können.“ Denn gerade das sei ein Teil des Erlebens von Freiheit – gemeinsam mit dem Pferd die Natur zu erkunden. Gerade bei den Geländeritten lernen die Kinder darüber hinaus, sich dem Schwächsten der Gruppe anzupassen. „Hat ein Kind einmal Angst vor dem Galopp, muss sich der Rest anpassen und dann wird eben mal nicht galoppiert.“
Reiten in der Natur
Das Reiten in der Natur tut im Übrigen auch den Pferden gut: „Dadurch, dass unsere Schulponys sehr viel geradeaus im Gelände unterwegs sind, bekomme ich von den Tierärzten immer wieder ein Lob, wie gleichmäßig sie bemuskelt sind.“ Wichtig für die Psyche der vierbeinigen Lehrmeister ist darüber hinaus auch die artgerechte Haltung: „Bei uns kommen alle Pferde und Ponys in Gruppen auf die Weiden und sind im Winter über Nacht in Laufboxen untergebracht. Nur zufriedene Pferde können auch brav sein, sind viel ausgeglichener und müssen nicht während des Unterrichts ihre Rangordnung ausfechten“, ist Evelyn Schmitz überzeugt.
Kürzlich habe ein Vater zu ihr gesagt: „Stehst du eigentlich morgens früh auf und freust dich schon auf deine Schüler? Man hat wirklich das Gefühl, du brennst dafür!“ Und genau das ist bei Evelyn Schmitz zweifelsohne der Fall. „Je mehr die Schüler merken, wie sehr man selbst das, was man tut, wirklich lebt, umso motivierter sind sie selbst dann auch.“
Andrea Zachrau
Fotos: privat
Ergänzungsqualifikation „Kinderunterricht im Pferdesport”
Die Ergänzungsqualifikation „Kinderunterricht im Pferdesport” setzt Schwerpunkte in der Gewöhnung an den Umgang mit dem Pony/Pferd für Kinder und auf den Reitunterricht unter pädagogischen Gesichtspunkten.
Zulassung
Um zur Prüfung zugelassen zu werden, müssen Sie folgende Voraussetzungen erfüllen:
bestandene Prüfung zum Trainer C, oder zum Pferdewirt bzw. Pferdewirtschaftsmeister Fachrichtung Klassische Reitausbildung oder Spezialreitweisen
mindestens einjährige Ausbildertätigkeit nach der Trainer C-Prüfung
Nachweis eines Vorbereitungslehrgangs mit 30 LE
Prüfung
Die Prüfung findet in folgenden Fächern statt:
Pädagogik (altersgerechte Didaktik und Methodik, Umgang mit Lehrmitteln und Medien)
Lehrponys, Ausrüstung für Kinder und Ponys, Aufsichts- und Sicherheitsaspekte, Umgang mit Angst
Vermittlung von folgenden Themengebieten: Erstkontakt und Sinnesschulung mit dem Pony, Unterrichtseinheiten für unterschiedliche Altersstufen, Spiele und Abzeichen