Beim Weltcup-Finale in Basel stand auf Einladung des Schweizer Veranstalters und in Absprache mit dem Weltreiterverband (FEI) neben den Stewards ein Team Pferdewirtschaftsmeister an den Vorbereitungsplätzen. Sie waren für die Initiative „R-Haltenswert“ vor Ort, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Missstände im Pferdesport aufzuzeigen, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen. Darüber haben wir mit André Hascher gesprochen, einem der Köpfe hinter „R-Haltenswert“.
Herr Hascher, bitte erklären Sie, was genau Sie in Basel gemacht haben, wie das zustande gekommen ist, und mit welchen Experten Sie zusammengearbeitet haben.
„R-Haltenswert“ liegt es am Herzen, das Wohl der Pferde sicherzustellen und den Pferdesport in die Zukunft zu bringen. Unser EQC (für Equine Quality Control, Anm. d. Red.) Programm schaut über die FEI-Regeln hinaus, ob das, was mit den Pferden gemacht wird, den allgemeinen Regeln des fachgerechten und ethischen Umgangs mit den Pferden entspricht. Dafür arbeiten wir mit Fachleuten zusammen. Das sind Pferdewirtschaftsmeister Jonathan Marquardt, der Leiter des Gestüts Rhön, Falk Stankus vom Dorotheenhof in Ostholstein, ebenfalls Pferdewirtschaftsmeister und unter anderem Mitglied der Prüfungskommission für Pferdewirte, sowie Pferdewirtschaftsmeister Marcel Egger, ein Schüler von Anja Beran.
Unsere Aufgabe in Basel war es, das Geschehen auf den Vorbereitungsplätzen zu allen Zeiten zu verfolgen, in denen dort trainiert werden durfte. Dr. Thomas Straumann von Veranstalterseite war von Anfang an absolut offen für das Projekt. Ursprünglich wollte er, dass wir schon im Januar zum CHI kommen. Aber dann meinte er, wir sollten das gleich mit einem medialen Paukenschlag zum Weltcup-Finale beginnen.
Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Basel gefahren und mit welchen Erkenntnissen sind Sie nach Hause zurückgekehrt?
AH: Meine Erwartung war eigentlich Abwehr seitens der FEI. Unser Ziel war es, einen Umdenkprozess in Gang zu setzen. Wir sehen uns als Katalysator für Veränderungen. Unsere Erkenntnisse waren, dass wir gute Bilder gesehen haben, aber auch viele schlechte – und das waren keine Ausreißer, wie sie im Eifer des Gefechts passieren können.
Da waren Reiter, die im Schritt mit dem Handy telefonierend auf dem Pferd saßen und einhändig mit der anderen Hand den Schlaufzügel festhielten.
Das waren andere, die die Schlaufzügel durchs Pelham gezogen haben und damit über bis zu 1,60 Meter hohe Hindernisse gesprungen sind. Das ist laut FEI Reglement erlaubt. Aber wenn man sich zurückbesinnt, was man früher gelernt hat, weiß man: Das ist falsch.
Dann haben wir viele zu eng verschnallte Reithalfter gesehen, zu stramme Kinnketten und falsch verschnallte Kandaren insgesamt, wo man eigentlich davon ausgehen sollte, dass Reiter, die auf diesem Niveau starten, es besser wissen müssten.
Und haben Sie die Reiter dann angesprochen, oder sind Sie zu den Stewards gegangen? Wie lief das ab?
AH: Wir hatten vorher „Spielregeln“ festgelegt. Jeden Tag gab es ein einstündiges Meeting mit den FEI-Vertretern vor Ort und es wurde festgelegt, dass wir die Reiter nicht direkt ansprechen, sondern immer über den diensthabenden Steward gehen, so war es zu Beginn der Veranstaltung. Später sind wir allerdings auf Wunsch der FEI direkt mit den Chefstewards in Kontakt getreten. Darum haben uns die Verantwortlichen der FEI gebeten, da der eine oder andere Steward wohl nicht recht wusste, wie er damit umgehen sollte, wenn wir Beanstandungen adressiert haben.
Wie meinen Sie das?
AH: Es wurde zum Teil gar nicht oder abwehrend reagiert. Wir hatten dann aber eine Notfallgruppe eingerichtet, über die wir bei wirklich dringenden Besorgnissen, die sofortiges Handeln erforderlich machten, die Chefstewards erreichen konnten, die dann kamen.
Wie oft ist so etwas vorgekommen und was waren das für Fälle?
AH: Das ist dreimal vorgekommen. Das eine war ein Voltigierpferd, das unseres Erachtens deutliches Unwohlsein zeigte, indem es beim Anlegen des Ausbindezügels sofort die Zunge heraushängen ließ und außerdem taktunrein war. Das zweite war ein Springpferd, dessen Nasenriemen so eng saß, dass er die Atmung unserer Anschauung nach deutlich sichtbar beeinträchtigte. Das dritte war ein Dressurpferd mit unserer Beobachtung nach wohl viel zu strammer Kinnkette. In allen drei Fällen sind wir zuerst aktiv geworden.
Der Chefsteward kam dann. Aber uns erschien das, was jeweils veranlasst wurde, vor allem auch bei dem Springpferd oftmals, als im Sinne des Tierwohls für unzureichend. Der Nasenriemen hätte mit der Zwei-Finger-Regel kontrolliert werden müssen, aber es ist nichts passiert, obwohl wir uns mehrfach dafür eingesetzt haben. Der Steward meinte, der Eindruck, dass die Atmung beeinträchtigt würde, läge am Design des hannoverschen Reithalfters. Woraufhin ich ihm gesagt habe, dann wäre dies das erste hannoversche Reithalfter mit extra Sperrriemen – und auch alle anderen Zäumungen dürfen die Nüstern des Pferdes nicht beeinträchtigen. Nach mehrmaligem Drängen unsererseits wurde das Pferd erst kontrolliert, als es dann aus dem Parcours kam. Danach teilte man mir mit, die Zäumung sei regelkonform gewesen. Aus unserer Sicht hätte das Pferd dringend sofort, also schon beim Abreiten kontrolliert werden müssen. Dieses Pferd tat uns wirklich leid.
Was hat überwogen? Die guten oder die schlechten Bilder?
AH: Das ist schwer zu sagen. Es war nicht so, dass wir bei allen Vorfällen auf die Barrikaden gegangen sind, wir haben uns jeweils situationsangemessen verhalten. Aber es sind definitiv keine bedauerlichen Einzelfälle gewesen, sondern es waren systematische Fehler, die daraus resultieren, dass die Pferde nicht mehr sorgfältig genug ausgebildet werden, sondern man ihnen zu früh zu viel Leistung abverlangt. Außerdem wird nicht ausreichend kontrolliert. Was wir beanstandet haben, war offensichtlich. Trotzdem mussten in diesen Fällen erst unsere EQCs etwas sagen, ehe eingeschritten wurde und das aus unserer Sicht oft unzureichend.
In einem anderen Interview mit den Kollegen der britischen Zeitschrift Horse & Hound sprachen Sie davon, dass die Reaktionen der Zuschauer auf manche Ritte in der Dressur negativ waren. Wie meinten Sie das?
AH: Ich wollte damit sagen, dass die Zuschauer sehr nachvollziehbar reagiert haben. Es ist äußerst bedauerlich, dass wir uns schon so lange mit dem Thema beschäftigen und es trotzdem immer noch nötig ist, dass der eine oder andere Reiter ausgepfiffen wird, weil die Zuschauer sein (nicht pferdegerechtes) Reiten nicht mehr sehen mögen. Die Skandale im Reitsport schaden allen in der Branche, auch denen, die es gut machen, weil die Schatten, die auf unseren schönen Pferdesport fallen, immer größer werden.
Aber konkrete Namen wollen Sie nicht nennen?
Zum jetzigen Zeitpunkt fände ich das falsch, weil die Reiter großen Teils das tun, was die FEI zulässt und die Richter am Ende auch noch mit Höchstnoten belohnen, obwohl es falsch ist. Trotzdem appellieren wir an die Reiter, den Schulterschluss mit uns zu suchen und zu den klassischen Wurzeln zurückzukehren, denn das ist die einzige Chance, den Tierwohl zu entsprechen und den Reitsport wieder mit Verantwortung auszuüben und damit für die Zukunft zu sichern.
Wie war denn die Resonanz der Reiter?
Vielleicht ist es von offizieller Seite im Vorfeld nicht genügend kommuniziert worden, was wir in Basel machen, obwohl wir ja selbst Presseerklärungen dazu herausgegeben haben, da wir offizieller Partner der FEI World Cup Finals in Basel waren. Die Reiter schienen zunächst sehr verschreckt. Wir wären gerne mehr mit den Reitern in den Dialog getreten, weil wir zusammen mit den Reitern einen großen Schritt machen wollen, das fehlte zunächst. Im Verlauf der Veranstaltung und auch im Nachgang, haben wir jedoch sehr viel Zuspruch bekommen, zum Beispiel auch von Mannschaftsolympiasieger Sönke Rothenberger, der es sehr begrüßte, dass wir, aus der Branche kommend, nun versuchen, die positive Trendwende im Pferdesport einzuleiten, oder Alexandra Gasser vom Gestüt Schönweide, die allgemein eine wichtige Vorreiterrolle mit Hinblick auf pferdegerechtes Handeln einnimmt und uns unterstützt.
Was passiert jetzt mit Ihren Erkenntnissen aus Basel?
AH: Wir sind dabei, einen umfassenden Abschlussbericht unter Aufdeckung von Systemfehlern zu erarbeiten, die wir vor Ort dokumentiert haben. Diesen werden wir zusammen mit Verbesserungsvorschlägen veröffentlichen.
Gibt es konkrete Verbesserungsvorschläge ?
AH: Ja, einige! Vieles bleibt unserem Abschlussbericht vorbehalten. Insoweit lohnt es sich, regelmäßig unsere Social-Media Präsenzen zu verfolgen. Aber eines kann ich schon sagen: Es ist absolut nicht überzeugend, dass der Schlaufzügel international im Springsport weiter eingesetzt werden darf. Die Dressurreiter und die Parareiter dürfen das zu Glück nicht. Im Springsport wird argumentiert, man könne den Schlaufzügel nicht abschaffen, da Sicherheitsgründe entgegen stehen würden. Das ist nicht nur fachlich sehr bedauerlich, sondern auch unter den Disziplinen und für das Publikum nicht nachvollziehbar.
In der Dressur muss strikt darauf geachtet werden, das die Zäumungen korrekt verschnallt werden, insbesondere die Kandare. Die Einführung der Wahlfreiheit zwischen Trense und Kandare wäre wünschenswert.
Der Springsport hat eine große Reform nötig. Die Parcours werden immer schwerer und immer höher. Aus sportlicher Sicht, wäre es viel besser, die Schwierigkeit auf einem gewissen Niveau zu belassen, aber dafür teilweise viel zu scharfe Zäumungen aus dem Verkehr zu ziehen, damit wieder derjenige Reiter gewinnt, der sein Pferd partnerschaftlich am besten ausgebildet hat, denn das ist es, um was es geht: Harmonie zwischen Reiter und Pferd.
Planen Sie weitere Aktivitäten wie in Basel für die Zukunft? Wenn ja, wird sich das auf den Sport beschränken oder überlegen Sie, beispielsweise auch bei Körungen zugegen zu sein?
AH: Grundsätzlich wollen wir den gesamten Pferdesport abdecken. Wir haben jetzt eben mit den World Cup Finals im Sport begonnen. Wir sind von weltweit aktiven Sponsoren angesprochen worden, die uns auf bereits bestehenden Großveranstaltungen ins Boot holen wollen, weil auch ihnen daran gelegen ist, den Sport zu erhalten und die Jahre der großen Skandale endlich zu beenden.
Über André Hascher
Hascher ist als Rechtsanwalt unter anderem im Bereich Pferderecht tätig. Er kann Dressurerfolge bis Klasse M** vorweisen und ist Vorstandsvorsitzender des Zuchtverbands für deutsche Pferde, ZfdP. Zudem ist er als Veranstalter und Moderator aktiv und versteht sich als Bindeglied zwischen Sport, Medien und Akteuren.
Das Interview führte Dominique Wehrmann