
Am 31. März und 1. April trafen sich 300 prominente Mitglieder der Pferdeszene in Lausanne, Schweiz, um im Rahmen des 14. FEI Sport Forums über die derzeitige Situation des internationalen Pferdesports zu sprechen. Von den olympischen Disziplinen machte die Dressur den Anfang.
Nach Informationen zu den Olympischen Spielen 2028 stand die Dressur im Mittelpunkt des FEI Sport Forums 2025. Die zu Beginn des Jahres zusammengerufene „Dressage Strategic Action Plan“-Arbeitsgruppe gab hier einen Überblick über ihre Überlegungen, Pläne und Maßnahmen.
Vorsitzender der Arbeitsgruppe ist der US-Amerikaner George Williams. Er war einst selbst Weltcup-Reiter, ist ehemaliger Präsident des US-Dressurverbandes und außerdem Nationaltrainer für den Nachwuchs und Ratgeber für die Kaderreiter.
Deutschlands Equipechef Klaus Roeser ist als Generalsekretär des International Dressage Riders Club (IDRC) und Vorsitzender des DOKR-Dressurausschusses dabei. Bundestrainerin Monica Theodorescu gehört ebenso dazu wie Finnlands Kyra Kyrklund, beide nicht nur als Trainerinnen, sondern über Jahrzehnte auch selbst im Sattel höchst erfolgreich. Raphael Saleh (FRA), Präsident der Ground Jury bei den Olympischen Spielen in Paris 2024, ist als Richtervertreter Teil der Gruppe.
Die Dänin Lise Berg repräsentiert die Wissenschaft in dem Team. Sie ist FEI-Tierärztin sowie außerordentliche Professorin für Angewandte Veterinärmedizin und Biomedizinische Wissenschaft an der Universität Kopenhagen, reitet und züchtet auch selbst. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von FEI Dressur Direktor Ronan Murphy, der zunächst den Ist-Zustand in der Dressur analysierte.
Einführung Murphy
Ronan Murphy gab zunächst einen Überblick. Was man in der Dressur sehen will, sei die harmonische Ausbildung des Pferdes zu einem „happy athlete“ in einem mental und physisch positiven Zustand. Es müsse dem Pferd ermöglicht werden, ruhig, locker, losgelassen und flexibel zu sein, aber gleichzeitig auch selbstbewusst, aufmerksam und leistungsbereit. Dies sei an folgenden Faktoren zu erkennen: freien und regelmäßigen Gängen, Harmonie, Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in der Ausführung der Lektionen, die Leichtigkeit der Vorhand und das Engagement der Hinterhand aus einem lebhaften Impuls heraus, das durchlässige Annehmen des Gebisses ohne Spannung oder Abwehr.
Murphy erklärte weiter, man könne sechs Bereiche ausmachen, die problematisch für den Dressursport sind:
- Generelles Gefühl, dass der Sport Vertrauen verloren hat
- Bereiche der Kritik:
- Trainingsmethoden
- Richten und Bewerten
- Besondere Vorfälle
- Fokus auf individuelle Reiter
- Sensibilität gegenüber dem Content, der an die Öffentlichkeit gelangt
- Öffentliche Wahrnehmung und Transparenz
- Ruf nach entschiedeneren Maßnahmen
Der FEI Dressur Direktor untermauerte dies mit den Petitionen, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 erreichten, und die eine Abschaffung des Pferdesports bei Olympia fordern. 83.510 Menschen hatten die „PETA“ Petition unterschrieben. 59.593 Unterschriften kamen bei „Care2petitions“ zusammen, 40.264 bei „change.org“, 9.629 bei „The Animal Rescue Site“ und 1.459 bei „Shaunak All That Breathes“.
Die Kritik fokussiere sich auf die Trainingsmethoden, das Richten und Bewerten sowie spezielle Vorfälle mit individuellen Reitern.
Lösungsansätze
In einer Umfrage wurden verschiedene Bereiche ausgemacht, auf die die Arbeitsgruppe sich in ihrer Tätigkeit zunächst fokussieren soll. Ein Drittel davon bezieht sich auf das Richten. Aber es geht auch um die Aufsicht am Abreiteplatz, um Verwaltungsstrukturen, Prüfungsformate und -protokolle, Pferdegesundheit und Veterinärwesen, Sattelzeug und Ausrüstung sowie die Kommunikation.
Vorschläge, die von der Arbeitsgruppe geprüft werden, sind diese:
- die Einführung einer Rittigkeitsnote,
- der öffentliche Zugang zu den Kommentaren der Richter,
- ein System, mit dem die Richter während einer Prüfung Bedenken hinsichtlich der Kompetenz einer Kombination auf diesem Niveau äußern können,
- die Überprüfung der Positionen der Richter am Viereck,
- die Weiterentwicklung des KI-unterstützten Richtens,
- die Verfeinerung des Schwierigkeitsgrads (DoD), um Harmonie in den Vordergrund zu stellen,
- der Umgang mit Anlehnungs- und Zungenproblemen,
- die Überarbeitung der Prüfungen, um das Ziel der Dressur besser widerzuspiegeln,
- die Überwachung von Reiter-Pferd-Paaren, bevor sie das Viereck bei A betreten,
- die stärkere Beteiligung der Richter an Pressekonferenzen nach dem Wettbewerb,
- die Wiedereinführung eines Generalrichters oder eines Gremiums zur Überwachung des Richtens und zur Überprüfung der Rollen des Richteraufsichtsgremiums und der Richterberatungsgruppe.
Podiumsdiskussion
Nach Murphys Einführung wurde über einzelne Aspekte diskutiert. George Williams machte als Vorsitzender der Gruppe den Anfang und sagte, man müsse sich zunächst darüber im Klaren werden, was in einer Dressuraufgabe eigentlich überprüft werden soll – der Reiter? Die Ausbildung? Die Qualität des Pferdes? „In der Realität ist es eine Kombination dieser drei Aspekte“, so Williams. Es gehe darum, eine Balance zu finden und Dressuraufgaben zu entwickeln, die dem gerecht werden.
Kyra Kyrklund sieht die Verantwortung vor allem bei den Richtern: „Reiter und Ausbilder sind absolut abhängig von den Richtern.“ Sie habe im Laufe ihrer Karriere (in der sie an sechs Olympischen Spielen teilgenommen hat, Anm. d. Red.) verschiedene Trends erlebt. Als Dressur zu langweilig wurde, habe man mehr Zuschauer anlocken wollen. Nun gehe es darum, umzukehren und „nicht mehr 150 Prozent in jeder Lektion und jedes Mal, wenn sie das Viereck betreten“ von den Pferden zu verlangen. „Wir müssen es zusammen mit dem Pferd machen, nicht gegen das Pferd“, betonte die Finnin.
Zudem dürfe nicht die Qualität des Pferdes im Fokus stehen. Es müsse darum gehen, bei welchem Paar es am leichtesten aussieht und welcher Reiter mit dem geringsten Hilfenaufwand auskommt. Und, wieder mit Blick auf die Verantwortung der Richter: „Wir Reiter und Ausbilder können uns sehr schnell anpassen – wenn wir denn wissen, was gefordert ist.“
Monica Theodorescu pflichtet Kyra Kyrklund voll bei, was die Trends in der Dressur angeht. „Um die Stadien vollzubekommen, haben wir den Sport spektakulärer gemacht und das ist zu weit gegangen. Natürlich läuft es auf die Richter hinaus, was wir wollen. Wir üben das, was gewollt ist. Wir unterrichten das. Und Reiter reiten und trainieren ihre Pferde dementsprechend, wie sie die meisten Punkte bekommen. Wir haben den Pfad der Skala der Ausbildung verlassen. Das ist das Problem, das wir haben. Aber wir können es mit den Regeln lösen, die uns zur Verfügung stehen – mit guten Ausbildern, guten Richtern, Weiterbildung und natürlich viel Verständnis dafür, was Wohlergehen der Pferde eigentlich bedeutet und dafür, welches die Anzeichen für Stress und Konflikte sind und wie wir diese identifizieren. Das ist etwas, das wir von der Wissenschaft lernen können.“
Klaus Roeser nahm die Juroren angesichts ihrer schwierigen Aufgabe in Schutz und sieht eine Lösung in der Anwendung künstlicher Intelligenz zur Unterstützung der Richter. Damit mache man auch in anderen Sportarten gute Erfahrungen. „Wir müssen uns detaillierter anschauen, wie die neue Technologie uns helfen kann, die Komplexität zu verringern. Es geht nicht darum, Richter in den nächsten fünf Jahren ganz abzuschaffen, aber ich denke es gibt viele Möglichkeiten und Systeme, mithilfe derer die Richter sich mehr auf die wichtigen Dinge konzentrieren können, die wir gerne sehen würden und dann dementsprechend richten“, so Roeser.
Raphael Saleh bestätigte, es gehe jetzt darum, „die Harmonie und das Gesamtbild zu verbessern“. Daran würden sie alle arbeiten. Er sieht Weiterbildung als einen wichtigen Faktor an dieser Stelle. Auch seien er und seine Kollegen offen für die Unterstützung durch künstliche Intelligenz, um ihre Aufgabe als Richter zu erleichtern. Für sehr wichtig hält er es, dass die Richter als Team zusammenarbeiten und „eine klare Linie haben“, wohin sie wollen. Gemeinsame Meetings mit Reitern und Ausbildern seien erforderlich, „um das zu diskutieren und in die richtige Richtung zu gehen, die am besten für Reiter, Pferde und den Sport ist“.
Lise Berg verwies auf die Vorbildfunktion der Reiter in der Öffentlichkeit und den gegenseitigen Einfluss von Turnieren und Training. „Aus Sicht der Tierärztin ist zu sagen, dass es wichtig, dass das, was die Richter belohnen, das ist, was zuhause trainiert wird. Was auf dem Turnier belohnt wird, muss das sein, was in die Reithalle zuhause mitgenommen wird. Das beeinflusst das gesamte System, denn was Reiter bei ihren Idolen sehen, ist das, was auch im örtlichen Reitverein passieren wird (…).“
Im übrigen stimme sie ihren Vorrednern zu. „Vielleicht hat der Wunsch nach extravaganten Bewegungen und spannendem Sport es in eine Richtung gedrängt, in der wir die Leichtigkeit verloren haben. Ein Kollege hat mal zu mir gesagt, wenn wir Ballett anschauen, und da käme ein schweißüberströmter Tänzer hinein, ist das nicht das, was wir sehen wollen. Mit der Dressur ist es das gleiche. Wir wollen, dass es leicht aussieht. Der Trick ist dann, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es vielleicht einfach aussieht, es in Wahrheit aber super, super schwierig ist. Nur weil es einfach aussieht, ist es nicht langweilig.“
Mehr Forschung, um eindeutige Antworten geben zu können
Tierärztin Berg fordert mehr Forschung und evidenzbasiertes Wissen. „Wir können uns nicht nur auf unser Gefühl verlassen. Das wird uns nicht voranbringen.“ Auf die gegenwärtige Forschungslage angesprochen, sagte sie, es brauche tiefergehende Studien. Zwar gebe es bereits eine ganze Reihe, das Problem sei aber, dass die Qualität dieser Studien „nicht unbedingt vergleichbar“ sei. Auch gäben sie nicht unbedingt Antworten auf die Fragen, die zu beantworten sind. Sich nur auf Gefühle, Emotionen und persönliche Meinungen zu verlassen, sei nicht der richtige Weg. Sie bräuchten Erkenntnisse, um darauf basierend Entscheidungen treffen zu können.
Dazu passte die Anmerkung von Jason Brautigam, dem Vorsitzenden des Britischen Dressurausschusses: „In den letzten ein oder zwei Jahren wurde viel Kritik von denjenigen geäußert, die Fotos sehen, die ihrer Meinung nach Beispiele für schlechte Praktiken wie Hyperflexion und Hypoxia (abgeschnürte Zungen) zeigen. Aber wir haben keinen wirklichen Konsens darüber, was einige dieser Probleme tatsächlich ausmacht. (…) Wie können wir also die breite Öffentlichkeit darüber aufklären, was akzeptabel und ethisch vertretbar ist und was nicht, wenn wir keinen ausreichenden Konsens haben, nicht einmal innerhalb des Sports selbst, und wir nicht über die wissenschaftliche Forschung oder das Wissen verfügen, um dies zu untermauern?“
Dem stimmte Lise Berg voll zu: „Es ist sehr wichtig, dass wir uns nicht vor der Diskussion drücken. Es hat nämlich den Anschein, dass wir uns verstecken wollten. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, nicht als Konflikt, sondern als ein Gespräch darüber, was wir wissen. Was wissen wir nicht? Was müssen wir noch herausfinden? Wo liegen die Probleme? Wir alle müssen auch ehrlich sein, dass wir in Prüfungen Situationen sehen, die vielleicht nicht ideal sind. Wir sehen auch Bilder, die vielleicht nur eine kurze Millisekunde lang sind. Aber wir sehen auch längere Zeitspannen auf Video in einer Prüfung, die vielleicht nicht die Harmonie und die Leichtigkeit haben, die wir gerne sehen würden. Und darüber müssen wir wirklich ins Gespräch kommen. Wann ist es ein Problem? Wann ist es keins?“
Im zweiten Schritt gehe es dann um die Ableitung von Handlungsanweisungen auf Basis des erworbenen Wissens. Berg: „Es wird auch eine Entscheidung der Verantwortlichen sein, die tatsächlich die Regeln für die Leitlinien auf der Grundlage der Wissenschaft, also des Wissens, das wir ihnen zur Verfügung stellen, treffen müssen. Und diese Entscheidungen müssen dann möglicherweise angepasst werden, wenn wir klüger werden.“
Wahlfreiheit Trense/Kandare
Ein weiteres Thema, zu dem die Arbeitsgruppe befragt wurde, war die Forderung nach der Wahlfreiheit zwischen Trense und Kandare. Monica Theodorescu erklärte dazu: „Unter den Reitern herrscht Einigkeit darüber, dass wir die Kandare im Spitzensport verpflichtend beibehalten sollen.“ Allerdings habe man innerhalb der Arbeitsgruppe erwogen, die Wahlfreiheit auf Drei-Sterne-Niveau (also auch in Grand Prix-Prüfungen bis CDI3*) einzuführen und dann auszuwerten, wie das gelaufen ist.
Theodorescu weiter: „Wir wollen nicht, dass die Wassertrense genutzt wird, um höhere Noten zu bekommen. Vielleicht gibt es Richter, die sehen, ,oh, da ist einer mit Trense, das ist ein Guter‘, und geben höheren Noten, nur weil der Reiter eine Wassertrense benutzt. Das könnte zu anderen Problemen führen, dass das Pferd zuhause vielleicht stärker auf Trense geritten werden muss. Wir müssen vorsichtig sein, Dinge zu implementieren, nur weil sie nach außen hin eventuell gut aussehen und wir für den Moment gute Presse bekommen. Wir müssen das gut bedenken.“
Kyra Kyrklund ergänzte: „Ich habe es noch erlebt, dass Junioren-Europameisterschaften auf Trense geritten wurden. Dann wurde das geändert, weil manche Pferde nicht am Zügel gingen. Ich denke, wenn man die Kandare braucht, um den Kopf runterzubekommen, ist man auf dem falschen Weg! Die Kandare ist ein tolles Instrument. Aber (…) die meisten Reiter werden nicht ausreichend geschult, wenn sie die Kandare benutzen. Sie wissen nicht, was die Funktion des Kandarengebisses ist und was die Unterlegtrense macht. Wenn sie die Kandare nur benutzen, um den Kopf unten zu halten, ist das nicht gut genug. Das ist der Teil, bei dem Richter bewusster hinsehen müssen, wie die Kandare benutzt wird.“
Dem stimmte Klaus Roeser zu: „Wir müssen bedenken, dass die Kandare ein Ausrüstungsgegenstand ist. Ein Ausrüstungsgegenstand in den falschen Händen – ob nun eine Wassertrense oder eine Kandare – ist ein Problem. Wenn man ein Auto zu schnell fährt, hat man ein Problem. Aus meiner Sicht und aus Sicht der Reiter ist es eine Kunstfertigkeit, eine Kunstfertigkeit für den Spitzensport. Das muss man lernen. Wenn das Pferd ein Problem damit hat, ist man vielleicht nicht gut genug für den Spitzensport. Aber das ist eine offene Diskussion. Ich habe ein wenig Angst, einen Ausrüstungsgegenstand zu verbannen, weil wir denken, dass er in den falschen Händen ist.“
Auch Saleh pflichtete bei: „Ob Wassertrense oder Kandare – falsch benutzt, wird es die gleichen Konsequenzen für die Qualität der Anlehnung und das Maul des Pferdes haben. Wir müssen uns eher auf die Qualität der Anlehnung als solcher und die Art des Reitens konzentrieren, als die Frage, ob Kandare oder Wassertrense.“
Fußnoten wieder einführen
Nachdem die Arbeitsgruppe die Fragen von Ronan Murphy, der in seiner Eigenschaft als FEI Dressage Director die Debatte leitete, beantwortet hatte, hatten die Anwesenden Zuhörer die Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen bzw. Anregungen zu geben. Eine kam von Mariette Withages, selbst ehemalige internationale Richterin und einstige Vorsitzende des FEI Dressur Komitees. Sie wünscht sich die Wiedereinführung der Fußnoten.
„Das klingt wie Musik in meinen Ohren“, kommentierte Monica Theodorescu. „Die deutsche FN hat immer dafür gekämpft und national haben wir sie ja auch. Ich habe den Eindruck, seit der Abschaffung werden die Prinzipien nicht mehr genügend berücksichtigt“. Sie selbst mache die Erfahrung, dass Richter zwar in ihrem Kommentar im Protokoll auf grundlegende Mängel eingehen, die Bewertung des Rittes dies aber nicht ausreichend widerspiegele.
Kyra Kyrklund hat einen anderen Gedanken: „Wir sollten das Notensystem beibehalten, aber die Schlussnote, in der der Reiter bewertet wird, mit einem Koeffizienten von vielleicht 8 belegen, in dem wir ausdrücken können, dass wir gutes Reiten schätzen. Man kann aus einem kleinen Fiat kein Formel 1 Auto machen. Aber man kann einen kleinen Fiat trotzdem sehr gut fahren. Wenn man ein sehr guter Reiter ist, sollte das belohnt werden!“
Dressur und Social Media
Dass die Dressur in der öffentlichen Wahrnehmung schlecht wegkommt und Social Media Gruppen die Sportreiter immer wieder aufs Korn nehmen, war ebenfalls Thema. Sie seien „wie religiöse Sekten“, sagte Kyra Kyrklund, die sich immer mal wieder in Diskussionen einmischt, aber auch sagt: „Wir werden den Hohepriester dort nicht bekehren.“
Goran Åkerstrom, der Vorsitzende des FEI-Veterinärkomitees, zollte ihr allerdings Respekt dafür, dass sie es versucht: „Du bist da sehr tapfer.“ Dann erklärte er, auch die FEI setze sich mit einigen Gruppen auseinander, um in „einem guten Dialog“ zu bleiben. Aber man setze sich nicht mit den Gruppen auseinander, die generell gegen Tiere im Sport sind.
Ist Tierquälerei systemimmanent?
„Sind Vorfälle, wie die mit Charlotte Dujardin, unvermeidlich, weil man Pferde nur so dazu bringen kann, das zu tun, was sie im Topsport tun müssen?“ Für die Frage, die sich viele stellen seit den Skandalen, die die Dressurwelt in den letzten Jahren erschüttert haben, war nur noch wenig Zeit. Dr. Roly Owers, britischer Veterinärmediziner und CEO der Organisation World Horse Welfare, hatte sie aufgebracht. Die Antwort kam von Kyra Kyrklund, die unter anderem Dänemarks Cathrine Dufour trainiert, die jetzt die einst von Dujardin ausgebildete Hannoveraner Stute Mount St. John Freestyle reitet. Kyrklund: „Ich bin absolut überzeugt, dass dem nicht so ist. Es gibt Mörder. Aber nicht jeder, der da draußen ist, ist ein Mörder. Wir reden von einigen Leuten und die werden nun erwischt. Das ist gut so!“
Klaus Roeser hatte sich schon vorher zum Thema ethische Trainingsmethoden zu Wort geäußert: „Jagt euren Träumen nicht auf Kosten des Pferdes nach. Behandelt die Pferde, wie ihr auch behandelt werden wollt.“
Pferdewohl im Fokus
Der dritte Themenbereich des FEI Sport Forums 2025 war der Bereich Pferdewohl, moderiert von Somesh Dutt, dem „Senior Manager of Equine Welfare Initiatives & Implementation, Governance & Institutional Affairs“. Unter anderem wurde hier die neue FEI Equine Welfare Advisory Group (FEWAG) vorgestellt.
2024 wurde der FEI Equine Welfare Strategy Action Plan ins Leben gerufen, um der wachsenden Sorge um die Social License to Operate für den Pferdesport zu begegnen. Der Plan umfasst 37 Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen:
- Training, Reiten, Sattelzeug und Ausrüstung
- Erkennen von physischem und emotionalen Stress
- Verantwortung, Durchsetzungsfähigkeit und Wissen der zuständigen Personen
- Das Leben der Pferde jenseits der Trainingseinheiten („The other 23 hours“)
- Ehrgeiz des Reiters/Objektifizierung des Pferdes
- Gesundheit und Fitness des Pferdes/Verschleierung gesundheitlicher Probleme
Dutt gab zunächst einen Überblick, über den Status Quo in Sachen Umsetzung. Einige Bereiche sind bereits abgeschlossen, andere laufen derzeit, wieder andere sind noch in Planung. Einen Überblick gibt es hier: https://inside.fei.org/fei/equine-welfare/action-plan
Die FEWAG
Anschließend wurde die neue FEI Equine Welfare Advisory Group (FEWAG) durch FEI Cheftierarzt Dr. Göran Åkerstrom vorgestellt. Die FEWAG wurde gegründet, um der FEI Equine Welfare Strategy beratend zur Seite zu stehen und die Umsetzung der geplanten Maßnahmen zu überwachen.
Den Vorsitz hat Dr. Jenny Hall. Sie ist FEI-Vize Präsidentin und Vorsitzende des FEI Veterinär Komitees. An ihrer Seite ist zum einen die Ethologin und Tierwissenschaftlerin Malin Axel-Nilsson, die zum Thema „Beziehung zwischen Pferd und Reiter“ promoviert hat.
Dann ist der Australier Andrew McLean mit dabei, der in allen drei olympischen Disziplinen auf hohem Niveau geritten ist und als Ausbilder Pferde auf Championatsniveau gebracht hat, ehe er sich der Wissenschaft verschrieben hat. Heute ist er einer der führenden akademischen Experten für Pferdetraining.
Prof. Madeleine Campbell ist Teil der Gruppe. Sie ist unabhängige Beraterin und arbeitet am Royal College of Veterinary Surgeons (RCVS) als Professorin und Spezialistin für Tierschutzwissenschaft, Ethik und Recht.
Inga Wolframm ist Professorin für nachhaltigen Pferdesport an der Fachhochschule Van Hall Larenstein und arbeitet als externe Forscherin in der Abteilung für klinische Wissenschaften an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Utrecht. Sie hat aber nicht nur das Verhalten von Pferden im Blick, sondern auch das von Menschen, wie sie z.B. mit ihrer Studie zur Voreingenommenheit von Richtern im Spitzensport gezeigt hat. (Dr. Åkerstrom: „Das ist essenziell, denn ja, wir machen das hier für die Pferde. Aber wir machen es durch die Menschen.“)
Dr. Roly Owers ist Tierarzt und bereits seit 2008 Geschäftsführer der Tierschutzorganisation World Horse Welfare und als solcher langjähriger Berater der FEI. Zudem hat er gute Verbindungen in die Politik, wie Åkerstrom herausstellte. Außerdem soll noch ein Athleten- und/oder Trainervertreter hinzukommen, der in Kürze vorgestellt werden wird.
Ethische Trainingsmethoden
Prof. Campbell, Dr. McLean und Dr. Axel-Nilsson sind außerdem Teil der Expertengruppe im Bereich Training, zu der unter anderem auch Monica Theodorescu für den Bereich Dressur, Philippe Guerdat fürs Springen und Chris Bartle für die Vielseitigkeit gehören.
Die Expertengruppe hatte zunächst die Aufgabe zu definieren, was ethische Trainingsmethoden für Sportpferde eigentlich sind. Im nächsten Schritt geht es darum, wissenschaftlich untermauerte und von Experten einhellig befürwortete akzeptable Praktiken festzulegen. Schließlich sollen daraus für alle FEI Interessensvertreter gültige Leitlinien abgeleitet werden.
Ethische Trainingsmethoden waren eines der Schwerpunktthemen, die beim FEI Sport Forum näher beleuchtet wurden. Malin Axel-Nilsson und Andrew McLean waren hier die Redner.
Eine ethisch akzeptable Trainingsmethode ist durch die FEI nun wie folgt definiert:
„Eine ethische Trainingsmethode ist eine Methode, die negative Auswirkungen auf das Wohlergehen des Pferdes (einschließlich negativer Reize) minimiert, positive Auswirkungen auf das Wohlergehen des Pferdes maximiert und dazu führt, dass das Pferd die gewünschten Verhaltensweisen zeigt und diese freiwillig über einen längeren Zeitraum beibehält (Selbsthaltung), ohne dass physischer Zwang angewendet wird.“
Daraus ergeben sich sieben Prinzipien für das ethische Training von Pferden:
- Beachtung der Sicherheit von Mensch und Pferd
- Rücksicht auf die Natur des Pferdes
- Berücksichtigung der mentalen und sensorischen Fähigkeiten des Pferdes
- Rücksicht auf Emotionen des Pferdes
- Beachtung des Lernverhaltens der Pferde
- Korrekte Anwendung der Hilfen
- Beachtung der Selbsthaltung des Pferdes
Diese sieben Prinzipien in Kombination mit der grundsätzlichen Definition ethisches Pferdetrainings sollen dafür sorgen, dass negative Effekte auf die Pferde durch das Training minimiert und positive Auswirkungen maximiert werden.
Lernen leicht gemacht
Nach dem Überblick folgten verschiedene Vorträge, die einen tieferen Einblick in die einzelnen Aspekte gaben. Verhaltensforscher Andrew McLean ging beispielsweise auf das Lernverhalten von Pferden ein. Er betonte, wie wichtig das Vertrauen für den Lernerfolg ist und warnte davor, davon auszugehen, dass Pferde wie Menschen denken. Rache, Bosheit, reflektierendes Denken seien ihnen fremd. Es sei falsch, Pferden anhand bestimmter Verhaltensweisen grundsätzliche Charakterzüge zuzuweisen.
Auch seien Pferde sehr gute kontextbezogene Lerner dank ihres fotografischen Gedächtnisses. Das führe dazu, dass sie z. B. an einer Stelle schon sehr gut piaffieren, aber solange das Gelernte noch nicht ganz sicher sitzt, an anderer Stelle nicht wissen, was der Reiter von ihnen will. Daraus folgt, dass man beim Einüben neuer Dinge stets so lange bekannte Muster beibehalten sollte, bis sie sicher sitzen, um von da aus Schritt für Schritt weiterzugehen.
Gleichzeitig müssen Pferdemenschen beachten, dass Pferde die Welt ganz anders wahrnehmen – sie hören besser, sehen anders, riechen viel besser. Sie nehmen dadurch Dinge wahr, die uns vorenthalten bleiben, weshalb wir ihre Reaktion häufig nicht einordnen können. Was hingegen die taktilen Reize angeht, haben Pferde ein ganz ähnliches Schmerzempfinden wie wir Menschen.
Als Mensch solle man für das Pferd berechenbar sein. Das bedeutet, dass man konsequent sein muss. Man muss wissen, welche Anreize für Pferde wichtig sind – Futter, Spielen, Sozialkontakte. Man muss Rücksicht nehmen auf Stimmungsschwankungen und lieber mal einen Tag das eigentlich geplante Training über Bord werfen und etwas anderes machen, wenn man merkt, das Pferd ist nicht gut drauf, man selbst ist gestresst etc.
McLean ging auch auf die unterschiedlichen Arten des Lernens ein, etwa auf positive und negative Verstärkung. Wobei mit letzterem nicht aktives Strafen gemeint sei, wie McLean verdeutlichte. Jede reiterliche Hilfe sei in gewisser Weise eine negative Verstärkung, weil sie einen Druckreiz ausübt, der das Pferd motiviert, diesem zu weichen. Die Belohnung ist, wenn der Druck nachlässt, weil das Pferd die gewünschte Reaktion zeigt. Hier kommt es sehr auf Bewusstsein und Timing des Menschen an. Aktion und Reaktion müssen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, damit das Pferd die richtigen Schlüsse ziehen kann. Positive Verstärkung hingegen heißt, man belohnt erwünschtes Verhalten. Man kann auch beides kombinieren, indem man nicht nur den Druck wegnimmt, sondern auch lobt, wenn das Pferd wie gewünscht reagiert.
Auch wichtig: der korrekte Gebrauch der Hilfen beim Reiten. Die Pferde müssen sie leicht differenzieren können. Dazu gehöre auch, dass der Reiter die Hilfen auch mal ganz wegnehmen kann und das Pferd Takt, Tempo und Haltung trotzdem beibehält, kurz: die Selbsthaltung. Diese sei wichtig für das Wohlbefinden des Pferdes, aber auch für die Außenwirkung.
Fitness to compete
FEI Vize-Prädisentin Dr. Jenny Hall gab unter anderem eine Definition, was „Fit to compete“ bedeutet:
- physische Gesundheit
- Mentale Gesundheit
- Guter körperlicher Zustand
- Ausgeruht nach einer Reise
- Gesund vor, während und nach einer Prüfung
- Nachweisliche Befähigung für das geforderte Niveau
- In der Lage, ohne Stress, Schmerz und unnötige Risiken die bestmögliche Leistung abzurufen
- Keine Anwendung physikalischer Therapien, die ein gesundheitliches Problem verdecken
Für den bei internationalen Turnieren obligatorischen Vetcheck im Vorfeld sollen Standards eingeführt werden, unter anderem eine Untersuchung der Maulhöhle. Zu diesem Themenkomplex gab es interessante Fragen, zum Beispiel wie man eine physisch „normale“ Asymmetrie, die viele Pferde haben, die aber nicht krankhaft ist, von einer schmerbedingten Lahmheit unterscheiden will. Eine Antwort könnte laut Dr. Hall moderne Technik sein, die den Bewegungsablauf des Pferdes über einen längeren Zeitraum aufzeichnet. Trotzdem müsse das Pferd am Tag X gesund sein und fit to compete.
Eine andere Frage war, ob bei den Re-Inspections, also den Untersuchungen, die vorgenommen werden, nachdem das Pferd in die Holding Box musste, weil es im ersten Anlauf nicht durch den Vetcheck gekommen ist, nicht andere Tierärzte und Richter die Beurteilung vornehmen sollten als beim ersten Mal. Jenny Hall sagte, sie würde den Vorschlag gerne aufnehmen.
Bereiche der Forschung
Dr. Göran Åkerström präsentierte, in welchen Bereichen im Sinne des Pferdewohls geforscht wird. Unter anderem wird derzeit mit Springpferden untersucht, in welcher Weise unterschiedliche Untergründe die Kräfte beeinflussen, die auf die Gliedmaßen der Pferde einwirken, und in welchem Zusammenhang das mit Verletzungen steht.
Dann soll ein Protokoll entwickelt werden, wie die Maulhöhlen der Pferde auf Verletzungen untersucht werden können, die im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Gebissen stehen. Springreiterin Katharina Offel hat sich freiwillig gemeldet, um ihre Pferde untersuchen zu lassen. Die FEI-Tierärzte nahmen die Mäuler von 20 ihrer Pferde in Augenschein und hatten nichts zu beanstanden. Für Åkerström war die Beteiligung von Offel ein wichtiger Schritt. Er ist überzeugt, dass man die Reiter von Anfang an mit ins Boot holen muss, wenn man Veränderungen durchsetzen will.
Eine weitere Überlegung ist es, Spürhunde einzusetzen, um verbotene Substanzen im Speichel der Pferde aufzuspüren. Das wäre vor allem im Distanzsport interessant, weil hier z. T. Substanzen zum Einsatz kommen, die die Herzfrequenz senken. Dazu muss man wissen, dass bei den Veterinärkontrollen während der Distanzritte der Puls zweimal gemessen wird und der Ritt nur fortgesetzt werden darf, wenn sich die Schläge pro Minute innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne auf einen bestimmten Wert verringert haben. Bleibt die Herzfrequenz hoch, ist das ein Zeichen für Ermüdung. Mittels bestimmter Medikamente kann man den Puls senken. Spürhunde könnten sofort feststellen, ob den Pferden solche Medikamente verabreicht wurden. Das würde dann noch einmal durch einen laboratorischen Test bestätigt werden. Versuche haben gezeigt, dass die Hunde zu 100 Prozent richtig lagen.
Auf die Frage, wann und wie die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe in die Praxis umgesetzt werden sollen, vertröstete der Moderator die Anwesenden allerdings noch etwas. Am 15. April sei das nächste Meeting angesetzt, bei dem das thematisiert werde.