Leistungsbereit, bewegungs- und sprungstark: Es gibt viele Aspekte, die ein modernes Sportpferd erfüllen soll. Die Vorstellungen vom Exterieur haben sich dabei im Laufe der Jahre immer mehr gewandelt. Welche Merkmale die vierbeinigen Hochleistungssportler heute erfüllen sollten, welche Eigenschaften sich positiv entwickelt haben und worauf zukünftig vermehrt geachtet werden muss, haben wir die beiden erfahrenen Richter Reinhard Richenhagen und Dr. Carsten Munk gefragt.
Wie hat sich das Exterieur unserer Sportpferde im Laufe der Zeit verändert und welche Exterieur-Eigenschaften konnten im Laufe der Jahre verbessert werden?
Reinhard Richenhagen: In der Zucht ist ganz, ganz viel passiert. Wenn ich überlege, ich habe 1969 angefangen zu reiten, da hatten die Pferde kurze, dicke Hälse, ausgeprägte Ganaschen, eine weniger elastische Rückenlinie mit eher festen Nierenpartie und teilweise sehr steile Fesselgelenke.
Dadurch, dass im Laufe der Jahre immer mehr Blut eingekreuzt wurde, haben wir heute schöne, moderne Pferde mit edlen Köpfen, einer schönen Halsung und einem weichen Genick. Dadurch konnten wir nicht nur den Typ verbessern, sondern auch die Bewegungselastizität.
Hinzu kommt, dass es uns gelungen ist, nicht nur das Exterieur, sondern auch das Interieur zu verbessern und das ist nun mal entscheidend für die Rittigkeit der Pferde. Früher war es so manches Mal im Winter kaum möglich, die jungen Pferde zu arbeiten, weil man ständig in den Sand gesetzt wurde. Unsere Pferde sind heute charakterlich ganz anders, sie arbeiten gerne mit – natürlich auch dank des verbesserten Exterieurs. Damit fällt es ihnen heute auch leichter, sich unter dem Reiter gut zu präsentieren und Leistung zu erbringen.
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Dr. Carsten Munk: Die Reitpferdezucht hat sich seit Jahrhunderten dem Verwendungs- und Gebrauchszweck angenähert und insbesondere in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft einen ungeheuren Fortschritt erlebt, der sich ganz klar an den (sportlichen) Anforderungen an die Pferde orientierte.
Bis in die 60er Jahre dominierte ganz klar die Zucht des Wirtschaftspferdes. Pferde mit deutlicher Breite, voller Rippigkeit, kurzbeinig und ohne reiterliche Points mit massigem Genick, kurz in Schulter und Widerrist und oftmals auch mit nicht allzu viel Geist waren zumeist Vertreter dieser Periode der Pferdezucht. Leider ist bisweilen festzustellen, dass mancher Beurteilungsmodus auch heute noch vereinzelt auf Theorien basiert, die auf das Wirtschaftspferd zugeschnitten waren. Das moderne Sportpferd benötigt keine überdimensionale Wucht und muss auch keine Lasten mehr ziehen; vielmehr sollten die in der Leichtathletik gültigen Kriterien im Hinblick auf Beweglichkeit und Athletik die heutigen Beurteilungsmaßstäbe diktieren.
Der Periode der Zucht des Wirtschaftspferdes folgte – entsprechend den geänderten Anforderungen des nunmehr die Zucht dominierenden Sports – die Zucht des für alle Disziplinen verwendbaren „Reitpferdes“. Hier wurden mit Hilfe des Einflusses blutgeprägter Veredler „leichtere“ Produkte angestrebt mit dem Ziel, insgesamt die Reitqualität und die sportliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Durch eine zielorientierte Zucht und eine konsequente Selektion wurde das Zuchtziel dann auf das „moderne Sportpferd“ erweitert und beinhaltet heute dann weiter eine disziplinspezifische Ausrichtung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unsere heutigen Sportpferde in ihrer Typausprägung deutlich edler, großlieniger und im Hinblick auf die Proportionen ihrer Körperpartien deutlich harmonischer geworden sind. Damit einher ging auch eine deutliche Verbesserung der Bewegungsabläufe und der Reiteigenschaften. Die erzielte Zweckmäßigkeit der Hebelwinkel der Hinterhand in Korrespondenz mit den Hebelarmen hat in Verbindung mit deutlich verbesserten Geschmeidigkeits- und Elastizitätsfaktoren des Körperbaus der Pferde zu einer hohen Körpergeschmeidigkeit und -elastizität geführt.
Die gezielte Verbesserung der sogen. Reitpferdepoints (siehe oben) hat nicht nur dank der Zucht die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Pferde erhöht, sondern auch die Voraussetzungen für ein feines, gefühlvolles Reiten mit zufriedenen und athletischen Pferden geschaffen.
Welche Exterieur-Kriterien muss ein modernes Sportpferd (jeweils Dressur und Springen) aus Ihrer Sicht erfüllen?
Reinhard Richenhagen: Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass das Pferd ein gutes Interieur hat, das heißt, dass es Lust hat, mitzuarbeiten und den Ehrgeiz, alles zu geben. Es hilft uns nichts, wenn wir ein bildschönes Pferd haben, dann aber merken, dass es aus dem Interieur beziehungsweise seinem Charakter heraus nicht genügend Arbeitsbereitschaft mitbringt. Bei einem Menschen ist es ja nichts anderes: Er kann einen noch so athletischen Körper haben, aber wenn er mental nicht dazu bereit ist, an seine Grenzen zu gehen, wird er auch nicht der nächste Olympiasieger werden.
Darüber hinaus wünschen wir uns einen harmonischen Körperbau beim Pferd, das heißt, dass die einzelnen Körperpartien gut miteinander harmonieren und arbeiten. Es soll ein korrektes Fundament mit ausgeprägten Gelenken haben. Wir wollen eine gute Körperaufteilung haben, eine gute Dreiteilung. Dazu gehören eine ausgeprägt große Hinterhand mit guter Winkelung und ein leichtes Genick mit einer gut angesetzten Halsung, sodass die Bewegung schön aus der Hinterhand über den Rücken in das Genick reinfließen kann. Bei den Dressurpferden wünschen wir uns lange, schräge Schultern mit einem ausgeprägten Widerrist, der zu einer guten Sattellage und der optimalen Positionierung des Reiters beiträgt. Bei den Springpferden sollte die Schulter nicht zu schräg angesetzt sein, so bekommt das Pferd mehr Sicherheit in der Landephase nach dem Sprung.
Aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Thema in diesem Zusammenhang sind außerdem große, gesunde Hufe mit einer guten Hufbalance.
Am Ende kommt es aber immer auf das Zusammenspiel von Exterieur und Interieur an: Ein Pferd, das körperlich vielleicht nicht zu 100% dem Optimum entspricht, kann dennoch unter dem Reiter enorm rittig sein und eine enorme Bewegungsqualität entwickeln, während eines mit einem tollen, harmonischen Gebäude sich unter dem Sattel vielleicht nicht so zu präsentieren weiß.
Dr. Carsten Munk: Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass sich die Reitpferdebeurteilung auf den drei untrennbar miteinander verkoppelten Merkmalen „Typ und funktionaler Körperbau“, „Rittigkeit, Reitqualität und Temperament“ sowie „Bewegungsqualität/Springqualität“ begründen muss. Somit muss auch die (funktionale!) Qualität des Körperbaus in direkter Abhängigkeit zur Rittigkeit/den Reiteigenschaften und der Bewegungsqualität/ Springqualität des Pferdes überprüft werden. Eine isolierte Betrachtung des Körperbaus – sozusagen eine Inaugenscheinnahme als „Standbild“ – ermöglicht hingegen nur eine Modellbetrachtung und lässt die wahre Qualität des Pferdes, wenn überhaupt, nur erahnen.
Zu den vorgenannten Merkmalen kommen dann noch die erforderlichen Eigenschaften für die speziellen Reitsportdisziplinen hinzu. So müssen zum Beispiel Spring- und auch Vielseitigkeitspferde noch über eine entsprechende Springmanier, über Spring- und Galoppiervermögen sowie über eine Vielzahl entsprechender innerer Eigenschaften („Geist und Seele“) – ebenso wie auch Dressurpferde – verfügen, ohne die alles Körperliche ohnehin nur Fassade ist.
Es ist tatsächlich oftmals so, dass sich bei der Präsentation der Pferde unter dem Reiter die Wertvorstellungen aus einer zu frühzeitig vorgenommenen Exterieur-Betrachtung erheblich verschieben. Da war vielfach nicht zu halten, was das Pferd als „Denkmal“ versprach! Es ist somit zu empfehlen, diese Betrachtung an das Ende der Beurteilung zu setzen und keinesfalls an deren Anfang.
Das moderne Sportpferd sollte somit hinsichtlich seines Körperbaus sowohl in der Standard- als auch in der Spezialnutzung zwingend zwei Bedingungen erfüllen: Erstens sollte der Pferdekörper über die Konstruktionsmerkmale verfügen, mit denen die geforderten Bewegungsabläufe in den einzelnen Sport-Disziplinen bzw. im Reit- und Leistungsgebrauch uneingeschränkt geleistet werden können. Zweitens sollten konstruktionelle Merkmale („Reitpferdepoints“) gegeben sein, die die Reiteigenschaften des Pferdes positiv unterstützen und erfahrungsgemäß auch positive Auswirkungen auf die Sporttauglichkeit und die Gesundheit haben.
Bei der Beurteilung der Konstruktionsmerkmale, die förderlich sind für entsprechende Bewegungsabläufe, ist insbesondere die Hinterhand hervorzuheben. Diese produziert Schub und bewirkt Tragkraft und ist somit die Körperpartie des Pferdes, die die „Hauptarbeit“ beim Reitgebrauch leistet. Auch wenn hier in der Vergangenheit immer wieder „ideale“ Stellungen und Winkelungen propagiert wurden, so hat sich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nur eine Ideal-Konformität aus dem Zusammenwirken geistiger Faktoren und körperlicher Funktionen gibt, die allein im Arbeitsvorgang gewertet werden kann. Die formalistische Betrachtung sollte hier somit durch eine Beurteilung der Funktionalität des Pferdekörpers (zweckmäßige Hebelwinkel und Hebelarme) ersetzt werden!
Auch dem Pferderücken ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen, der dann am zweckmäßigsten konstruiert ist, wenn er eine vorteilhafte Sattellage aufweist und das Reitergewicht mühelos trägt. Hierbei ist insbesondere auf eine korrekte Schwerpunktlage zu achten, da nur diese den Reiter bequem und zweckmäßig sitzen lässt. Als Teil des Bewegungsapparates des Pferdes muss der Rücken die von hinten gebrachten Schubkräfte in ungehemmten Schwingungen nach vorne durchlassen. Auch hier können formalistische Vorstellungen zu Fehlbeurteilungen führen; die Überprüfung der Auswirkungen der konstruktionellen Gegebenheiten des Pferderückens in der Bewegung ermöglicht hierbei eine deutlich realistischere Beurteilung als die Modellbetrachtung im Stand!
Zu den Körpermerkmalen, die die Reiteigenschaften des Pferdes verbessern (Reitpferdepoints), zählen ein passendes Genick, das eine problemlose Beizäumung in steter Anlehnung ermöglicht, sowie eine entsprechende Ganaschenfreiheit. Ein gut angesetzter Hals in angepasster Länge ermöglicht Gleichgewicht und einen Bewegungsvorlauf aus dem Rücken bis hin zum Pferdemaul. Ein einerseits stabiler und andererseits elastisch schwingender Rücken trägt problemlos einen Reiter mit gutem Sitzkomfort und ermöglicht eine gute Körpergeschmeidigkeit des Pferdes.
Von besonderer Bedeutung für die Sporttauglichkeit und die Gesundheit des Pferdes sind die Fundamentstärke und die Fundamentkorrektheit sowie korrekte Hufstellungen und Hufformen anzusehen. Hier sollten erkennbare Schwächen keinesfalls übersehen werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Körperqualität eines Reitpferdes für alle Disziplinen die funktionellen Voraussetzungen erfüllen muss, um die geforderten Bewegungsabläufe zu ermöglichen. Weiterhin sollten keine Merkmale vorliegen, die die Reitqualität/Sporttauglichkeit sowie die Gesundheit des Pferdes (erfahrungsgemäß!) negativ beeinflussen können. Ideale körperliche Voraussetzungen sind keinesfalls immer Garanten für Bewegungs- und Reitqualität!
Moderne Sportpferde: Zuchtziele der Warmblut-Zuchtverbände
Zuchtziel hinsichtlich des anzustrebenden Typs:
Typ des edlen und leistungsbereiten Sportpferdes in unterschiedlichem Kaliber; Adel, große Linien, klare Konturen, trockene Textur, plastische Bemuskelung, deutlicher Geschlechtsausdruck.
Zuchtziel hinsichtlich der Eigenschaften:
Edles, großliniges und mit harmonischen Grundlinien ausgestattetes Pferd mit schwungvollen, raumgreifenden und elastischen Bewegungen, das aufgrund seines Temperamentes, seines Charakters und seiner Rittigkeit für Reitzwecke jeder Art geeignet ist.
Eventuell muss diese letzte Zielsetzung noch im Hinblick auf das „moderne Sportpferd mit disziplinspezifischer Ausrichtung“ etwas angepasst werden.
Welche Exterieur-Eigenschaften moderner Reitpferde sind eher kritisch zu sehen?
Reinhard Richenhagen: Kritisch zu sehen ist vielleicht die teilweise übertriebene Langbeinigkeit. Die wurde eine Zeit lang besonders von unseren niederländischen Freunden forciert, da gab es einen Trend, große, langbeinige Pferde zu züchten. Am Ende kann die Langbeinigkeit aber zu Lasten der Balance gehen, sie sollte daher nicht übertrieben werden. Heute sind wir ein bisschen weiter und sagen: Wir wollen gut gebaute Pferde mit langen Beinen, aber bitte so, dass es nicht zulasten der Haltbarkeit geht. Denn häufig gehen mit sehr langen Beinen auch zu kleine Hufe einher, häufig mit schlechter Hufqualität. Diese Pferde laufen vermehrt auf der Trachte, habe eine schlechte Hufbalance und bekommen so schneller gesundheitliche Probleme. Daher: für mich mit der wichtigste Punkt sind korrekte, große Hufe, denn letztendlich reiten wir da drauf. Das schönste Pferd mit dem perfekten Körperbau macht uns keine Freude, wenn die eigentliche Basis, die Hufe, zum Problem werden.
Ein weiterer Punkt, den wir im Auge behalten müssen, sind die Rückenlinien. Teilweise werden sie etwas zu weich. Früher hatten die Pferde oft einen geraderen Rücken, der etwas stärker konstruiert ist und die Möglichkeit schuf, den Schub aus der Hinterhand im Vorwärts zu entwickeln.
Auch die im Vergleich zu früher deutlich weichere Fesselung der Beine hat seine Vor- und Nachteile. Früher standen die Sportpferde viel steiler. Da hörte man immer wieder den Befund Hufrolle. Heute sind sie deutlich weicher gefesselt. Dadurch bekommen wir diese schönen, weichen, federnden Bewegungen – aber nun sind die Fesselträgerschäden eher das Problem. Ich bin aber der Meinung, dass es teilweise auch an unserer Ausbildung liegt und auch daran, dass immer auf denselben Böden geritten wird. Wenn sie sich immer nur auf den besten Untergründen bewegen, haben die Muskeln und Sehnen keine Anreize, belastbarer zu werden. Es ist ja nichts Anderes, als wenn wir uns immer nur auf einem schönen weichen Teppichboden bewegen und dann plötzlich auf unebenerem Gelände unterwegs sind. Da bekommen wir auch Probleme.
Dr. Carsten Munk: Leider stellen wir bisweilen fest, dass die Stabilität und Haltbarkeit der Gliedmaßen einer nicht unbedeutenden Anzahl von Pferden nicht korrespondiert mit deren zum Teil groß dimensionierten Bewegungsabläufen. Die Zucht darf keinesfalls die Fundamentstärke und die Fundamentkorrektheit ihrer Zuchtprodukte zugunsten zum Teil spektakulärer Bewegungsabläufe und der gewünschten „Langbeinigkeit“ aus den Augen verlieren. Überdimensionale Bewegungsabläufe sind insbesondere auch dann kritisch zu betrachten, wenn nicht nur das Fundament, sondern auch der tragende Sehnen- oder Bandapparat nicht in der erforderlichen Stärke ausgebildet sind. Hier gibt es vordringlichen Verbesserungsbedarf im Zuchtfortschritt.
In diesem Zusammenhang ist auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der jeweiligen Gangkorrektheit und einer guten Bewegungselastizität zu erzielen. „Hinten drehende“ Pferde, die auch in unserer modernen Pferdezucht nach wie vor zu beobachten sind, weisen nicht nur begrenzte Möglichkeiten der Schub- und Tragkraftentwicklung auf, sondern auch vielfach eine zeitlich befristete Haltbarkeit. Gleiches gilt auch für mittel- bis hochgradiges Bügeln.
Zu den Gliedmaßen sind auch die Hufe zu zählen, die in ihrer Ausprägung zum Kaliber des Pferdes passen müssen und hinsichtlich ihrer Form und ihres Hufmechanismus keine Einschränkungen aufweisen dürfen. Immer noch sind Pferde mit reichlich kleinen, zylindrischen und fehlerhaft gestellten Hufen festzustellen. Auch diesen Punkt darf die Zucht nicht aus den Augen verlieren.
Bisweilen hat sich auch der Rücken einiger Zuchtlinien als nicht ausreichend „stabil“ genug erwiesen. Hiermit ist nicht die Rückenlinie als solche gemeint, sondern die Ausprägung der Dornfortsätze und ihre Verzahnung sowie die dehnenden und streckenden Gewebe zur Schulter und zum Rippengewölbe. Hierbei ist eine Einbuße an Beweglichkeit, an begrenzter Schwingung und mangelndem „Sitzkomfort“ festzustellen, wobei sich die Beine unter dem Körper, nicht aber mit dessen Einbeziehung – vor allem des Rückens – bewegen.
Man hört immer mal wieder den Satz: „Das können nur noch Profis bedienen“, wenn es um bewegungsgewaltige Pferde geht – wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Reinhard Richenhagen: Das ist inhaltlich nicht ganz richtig, denn unsere Pferde zeichnen sich durch eine enorme Rittigkeit aus, nehmen die Reiterhilfen gerne an, sind sehr sportlich und auch leicht erregbar, dabei aber stets kontrollierbar. Ein Pferd darf sich ruhig einmal erschrecken und darf sich auch einmal ein bisschen aufregen, aber es muss auch genauso schnell wieder zu beruhigen sein. Und wenn ein Pferd klassisch über den Rücken schwingend aus aktiver Hinterhand zur Hand gearbeitet wird, dann ist die große Bewegung gar kein Problem. Das große Problem ist vielmehr, dass es dem Reiter gelingen muss, das Pferd über den Rücken zu reiten. Und das hat am Ende nichts damit zu tun, ob er Profi oder Amateur ist, in beiden Bereichen gibt es gute und schlechte Reiter. Vielmehr entscheidend ist, dass man ein Gefühl fürs Pferd haben muss. Wenn ich in der Ausbildung wirklich darauf achte, das Pferd nicht zu überfordern und es mit gelingt, dass der Rücken locker schwingt, dann ist ein solches Pferd für einen Amateur genauso leicht zu reiten wie für einen Profi.
Dr. Carsten Munk: Es besteht kein Zweifel, dass es bei unseren Pferden eigenwillige Prägungen, unrittige, überempfindliche aber auch ausgesprochen stumpfe Exemplare, zum Teil auch unzuverlässige und unberechenbare Wesen gibt. Diese Pferde werden weder vom Profi noch vom Amateur angestrebt und sind mittlerweile als absolute Ausnahmen auch keinesfalls kennzeichnend für die heutige Pferdezucht: hier überwiegen bei Weitem die anständigen und leistungsbereiten Sportpartner. Fairerweise muss man jedoch angeborene von erworbenen Eigenschaften unterscheiden! Ein Bezug zu einer ausgeprägten Gangqualität lässt sich hier eigentlich nicht herstellen.
Der Sportreiter erwartet von der Zucht ein Pferd mit charakterlicher Anständigkeit aber auch mit Esprit! Diese Forderung nach Zuverlässigkeit und Leistungsbereitschaft einerseits und kraftvollem Engagement des Pferdes andererseits setzt beim Reiter Einfühlungsvermögen, Geduld und eine angemessene Geschmeidigkeit voraus. Derartige Pferde sind ausgestattet mit Freude an der eigenen Bewegung und Kraftentfaltung und stellen sich im positiven Sinn sensibel im Hinblick auf die reiterliche Einwirkung dar. Keinesfalls kann vom Pferd erwartet werden, dass es in bedingungsloser Duldung alles über sich ergehen lässt!
Pferde mit solchen Eigenschaften sind sicherlich wenig geeignet für den lernenden Reiter, dürfen aber keinesfalls „als nur vom Profi bedienbar“ herabgewürdigt werden.
Gibt es Eigenschaften, auf die aus Ihrer Sicht bei der Zucht wieder mehr Wert gelegt werden sollte?
Reinhard Richenhagen: Dadurch, dass wir sehr viel Blut eingekreuzt haben und die Pferde immer feiner werden, muss im Blick behalten werden, dass wir Pferde mit gutem Fundament züchten.
Wie oben schon gesagt, ist die Qualität der Hufe ein sehr wichtiges Thema. Ebenso gehören aber auch große Gelenke dazu. Auch wenn die Stärke der Knochen nicht mit Belastbarkeit gleichzusetzen ist, haben wir die Erfahrung gemacht, dass ausgeprägte, große Gelenke etwas verschleißärmer sind. Hinzu kommen ein gut bemuskelter Rücken und eine starke Oberlinie.
Ein weiterer Punkt ist die Auswahl der zu körenden Hengste. Früher waren wir da sehr pingelig, da wurde kein Hengst gekört, der auch nur den Ansatz einer Fehlstellung hatte. Heute sind wir kompromissbereiter. Das hat sich auch bei der letzten Hannoveraner-Körung gezeigt, als ein Hengst zum Siegerhengst gemacht wurde, der mit den Vorderbeinen stark „bügelte“. Vermutlich war man hier etwas zu kompromissbereit – ein gesundes Mittelmaß aus Strenge und Kompromissbereitschaft, was Exterieurmängel angeht, wäre sicher wünschenswert. Wenn man da noch einen Schritt weiter geht, wäre es sicher sinnvoll, nicht nur Tierärzte, sondern auch Hufschmiede in die Körkommissionen aufzunehmen, damit tatsächlich alle Aspekte unserer zukünftigen Vererber kritisch beleuchtet werden.
Dr. Carsten Munk: Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass die Zucht von der Umzüchtung des Wirtschaftspferdes der 60er Jahre bis zum heutigen modernen Sportpferd mit Spezialeignung eine ungeheuerlich positive Leistung vollbracht hat. Hochedle, ausdrucksstarke Pferde mit höchster Bewegungsqualität und enormem Springvermögen haben einen Sport in einer Leistungsqualität ermöglicht, wie dies vor Jahrzehnten noch nicht für möglich gehalten wurde. Breitesten Reiterkreisen wurde durch dieses Pferdematerial eine Sportausübung ermöglicht, wie es sie in der Vergangenheit noch nicht gegeben hatte.
Wo viel Licht ist, ist aber bisweilen auch Schatten! Weisen unsere heutigen Pferde Bewegungen von höchster Qualität und ebenso vorzügliche Reiteigenschaften auf, so scheinen sie auch anfälliger für gesundheitliche Schäden durch Verschleiß zu sein. Von derartigen Verschleißerscheinungen scheinen insbesondere die Gelenke der Gliedmaßen und deren Sehnen-/Bandapparate betroffen zu sein, aber auch unterschiedliche Schäden am Rücken der Pferde.
Man mag dazu neigen, die Zucht hier zu mehr Kritikfähigkeit aufzurufen und auf mehr Stabilität und Haltbarkeit zu drängen. Fairerweise muss man aber auch prüfen, ob gerade unseren hochleistungsbereiten und mit hoher Gangqualität ausgestatteten Pferden die für eine lange Nutzungsdauer erforderliche Zeit für eine angemessene körperliche Entwicklung erhalten. Leistungsbereiten Pferden droht oftmals die Gefahr der reiterlichen Überforderung, der sich diese mit großer Anständigkeit unterziehen.
Der Zucht kann man nur empfehlen, sich gemeinsam mit Vertretern der Veterinärmedizin zu den gesundheitlichen Schäden an den Pferden durch die sportliche Nutzung auszutauschen und die erforderlichen Schlussfolgerungen für den weiteren Zuchtfortschritt und die weitere Selektion zu ziehen. Diesem Austausch sollte Priorität gegeben werden, wobei die Typverbesserung und die Verbesserung der Eigenschaften des modernen Sportpferdes ja nicht außer Acht gelassen werden muss.
Andrea Zachrau
Unsere RRP-Experten
Dr. Carsten Munk ist seit dem achten Lebensjahr auf dem Pferderücken zu Hause. Seine Karriere im Sattel begann in Dressur, Springen und der Vielseitigkeit, später war er in der Dressur bis zur schweren Klasse siegreich. Seit dem Jahr 1988 hat er das Amt des Richters inne, war als Funktionär in verschiedenen Reit- und Zuchtverbänden tätig sowie Mitglied von Körkommissionen und übernahm 2021 schließlich den Vorsitz der Deutschen Richtervereinigung (DRV). Darüber hinaus ist der Diplom-Geologe seit 2007 Vorsitzender des Regionalverbandes Kurhessen-Waldeck und Mitglied im Vorstand des Pferdesportverbandes Hessen.
Reinhard Richenhagen ist Pferdemann durch und durch. Fast 40 Jahre lang arbeitete er für den Pferdeausrüster Waldhausen, war parallel jedoch als Reiter, Ausbilder und Richter auf den hiesigen Turnierplätzen zu finden. Der 66-Jährige kommt aus Pulheim und hat erfolgreich im Springen und in der Dressur an Turnieren teilgenommen. Er darf bis Grand Prix-Niveau richten und war auf großen internationalen wie nationalen Turnieren als Richter tätig. Richenhagen ist zudem Gutachter-Richter Dressur der Deutschen Richtervereinigung und auch deren stellvertretender Vorsitzender. Er engagiert sich im FN-Arbeitskreis Aufgabenheft sowie als Vorsitzender der Kommission für Pferdeleistungsprüfungen im Rheinland.