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Trense Ehning

Anatomische Reithalfter – Form follows function

Die Zeiten, in denen man sich als Reiter nur zwischen einem Hannoverschen, einem Englisch-Kombinierten oder Mexikanischen Reithalfter entscheiden konnte, sind längst passé. Vor einigen Jahren tauchten die ersten anatomisch geformten Reithalfter auf, die seitdem ständig weiterentwickelt wurden.

Am Kopf des Pferdes laufen zahlreiche Nervenbahnen entlang.

Doch warum entstand überhaupt der Wunsch nach Zäumungen, die sich von den traditionellen Reithalftern unterscheiden? Um die Verbindung des Reiters zum Pferd zu verbessern, reichte es nicht, nur andere Gebisse zu entwickeln, da am Kopf des Pferdes viele Blutgefäße und Nervenbahnen direkt unter der Haut verlaufen, die verantwortlich für Tastsinn, motorische Fähigkeiten, Balance und Puls sind.

Der große Gesichtsnerv verläuft unterhalb des Kiefergelenks bis zur Nase und von dort führen Nervenäste zu den Ohren und Augen. Hier liegen bei konventionellen Reithalftern viele dieser Nerven direkt unterhalb der Riemen.

Der Trigeminusnerv läuft unterhalb des Unterkiefers Richtung Nase und tritt aus dem Schädel an einem Punkt aus, worüber beispielsweise der Nasenriemen eines englischen Reithalfters liegt. Außerdem befindet sich der Kinnnerv am Unterkiefer im Bereich des Sperrriemens und direkt vor den Ganaschen verlaufen viele Blutgefäße direkt unter der Haut, deshalb sollte hier kein Riemen sitzen.

Werden diese empfindlichen Nervenbahnen und Blutgefäße am Pferdekopf durch die Trense zur sehr unter Druck gesetzt oder blockiert, kann dies nicht nur schmerzhaft für das Pferd sein, sondern auch das Stresslevel wird erhöht und die Atmung eingeschränkt, was die Leistungsbereitschaft des Pferdes negativ beeinflusst. Daher wurden anatomische Reithalfter so gestaltetet, dass sie der Kopfform des Pferdes folgen und so verhindern, dass zu viel Druck auf die Blutgefäße und Nervenbahnen des Kopfes ausgeübt wird. Einerseits kann dies durch eine weiche Polsterung gewährleistet werden, doch entscheidender ist es, dass das Reithalfter so konzipiert ist, dass es an anderen Bereichen des Pferdekopfes entlangläuft und der Druck gleichmäßig verteilt wird.

Anatomische Trensen von Passier

Auch bei Passier, die Traditionsfirma, die seit 1867 Trensen und Sättel herstellt, wurde vor einiger Zeit die Produktpalette erweitert: „Wir haben vor ungefähr zehn Jahren angefangen, bei den Reithalftern einen Ausschnitt für den Gebissring zu lassen, damit dieser nicht gestört wird und das Gebiss dann am Maulwinkel klemmt“, erzählt Eva Kannemeier von der Fima Passier.

Als die ersten anatomisch geformten Trensen auf den Markt kamen, störten sich viele Käufer an dem unkonventionellen Design, sodass die Hersteller vor der Herausforderung standen, die anatomisch geformten Trensen trotzdem ansprechend zu gestalten. „Aber auch das Design der anatomischen Trensen geht mit der Zeit. Man kann die Reithalfter auch mit Lack oder anderen Verzierungen bestellen, das schließt sich nicht aus.“

Doch wie entsteht die Idee zu einem neuen Reithalfter? „Wir arbeiten eng mit unseren Passier-Partnern zusammen und gerade erst haben wir mit Ingrid Klimke eine neue anatomische Trense entwickelt. Einerseits verfügt das Modell Favorite über ein besonders weich gepolstertes Genickstück, bei dem durch eine zusätzliche Aussparung im Bereich des ersten Halswirbels des Pferdes für eine optimale Druckentlastung gesorgt wird. Zudem ist das Reithalfter vorne breit, mit einer ganz weichen Auflage und einer unterfütterten Sperrriemenöse gestaltet, damit auch dort keine Irritationen entstehen. Hinten im Kinnbereich ist eine ganz breite Auflage verarbeitet, die immer mittig sitzt“, erklärt Eva Kannemeier.

Denn gerade hier sind die Pferdebesitzer bei der Verschnallung oft nicht aufmerksam genug.  „Es ist ein weitverbreitetes Problem, dass sich bei dem Reithalfter Spezial beim Zuziehen die Kinnunterlage nach links oder rechts verschiebt und so ein einseitiger Druck entsteht. Durch die beidseitige Verschnallung entsteht auf den beiden Kieferästen des Pferdekopfes eine gleichmäßige Druckverteilung.“

Bei der Trense Balance liegt der Fokus auf dem Ring des Reithalfters. (Foto Passier)

Mit Marcus Ehning steht Passier ein weiterer renommierter Reiter zur Verfügung, der auch seine eigenen Ideen in die Produktentwicklung miteinbringt. „Mit der Marcus Ehning II Trense konnten wir ein Model verwirklichen, bei der das anatomisch geformte, weich unterfütterte Kopfstück für eine gleichmäßige Druckverteilung sorgt. Der ebenfalls weich unterfütterte Nasenriemen ist so konzipiert, dass Jochbein und Gesichtsnerv des Pferdes frei liegen“, so Eva Kannemeier.

Doch nicht nur die Passier-Partner helfen bei der Produktentwicklung, sondern auch die Fachhändler treten mit ihren Ideen an das Unternehmen heran. „Die Entwicklung eines neuen Produktes durchläuft dann bei uns im Haus immer einen gewissen Prozess, bei dem erst einmal Muster erstellt werden. Diese werden dann über einen längeren Zeitraum von verschiedenen Parteien getestet, damit wir verschiedene Meinungen einholen können. Dann fällen wir erst die Entscheidung, ob die Trense oder das Reithalfter in Produktion geht.“

Neben den Vorschlägen der Reiter oder Fachhändler stehen bei Passier die anatomischen Merkmale des Pferdekopfes im Vordergrund: „Wir orientieren uns natürlich daran, wo die Nerven sowie wichtige Gefäße am Kopf entlanglaufen und versuchen zu gewährleisten, dass die sensorischen Strukturen, Nervenenden und Blutgefäße möglichst geschont werden. Dazu konsultieren wir auch zwei Tierärztinnen, die beide in der Chirurgie tätig sind, die eine hat sich auf Kopf und Kiefer spezialisiert und die andere Tierärztin ist in der Orthopädie tätig.“

Doch auch wenn die Produkte im Reitsport immer weiterentwickelt werden, die altbewährten Trensen haben für Eva Kannemeier immer noch ihre Daseinsberechtigung. „Auch ein althergebrachtes Reithalfter in einer geraden und schlanken Form, welches nicht stark unterfüttert ist, erfüllt seinen Zweck, wenn es richtig verschnallt ist. Unter Umständen kann es weniger Schaden anrichten, als ein anatomisches Reithalfter, das falsch verschnallt ist.“

Denn nicht korrekt sitzende Reithalfter gibt es bei anatomischen sowie bei traditionellen Modellen: „Wie oft sieht man Hannoversche Reithalfter, die so tief sitzen und dadurch die Nasenatmung des Pferdes behindern oder Reithalfter, welche viel zu eng verschnallt sind, sodass die Pferde überhaupt nicht mehr kauen können und dadurch auch nicht zufrieden ans Gebiss herantreten können“, erläutert die Expertin.

Die Rittigkeit des Pferdes zu verbessern, ist ein komplexes Thema, bei dem das Reithalfter sicherlich einen Beitrag leisten und an vielen Stellen helfen kann, aber ob es das Gesamtpaket verbessert, hängt von so vielen anderen Faktoren ab.

„Oft hat das Pferd im Genick zu viel Druck, doch da muss ich mich fragen, vorher der Druck kommt. Dieser resultiert in mehr als der Hälft der Fälle davon, dass das Reithalfter nicht richtig, sondern viel zu eng verschnallt ist“, bekräftigt Eva Kannemeier. „Natürlich kann man den Reitern Ratschläge an die Hand geben, welche Trense für welchen Typ am besten geeignet ist. Bei einem Pferd, das zwischen Jochbein und dem Ende Maulspalte wenig Platz hat, hilft ein schlankes, anatomisches Reithalfter, um Platz für den Gebissring zu lassen. Generell hat ein anatomisches Reithalfter den Vorteil, dass es vorne breit auf dem Nasenrücken aufliegt, um den Druck gleichmäßig zu verteilen. An der Seite laufen sie schmaler zusammen, um dem Gebissring Platz für die Bewegung zu geben. Hinten sollte das Reithalfter eine weich gepolsterte Verschnallung haben und gleichmäßig auf beiden Kieferästen aufliegen. Pauschalisieren, welche Trense die Richtige für welches Problem ist, kann man aber nicht, da jedes Pferd unterschiedlich ist. Hinzu kommt auch noch das Zusammenspiel mit dem Gebiss hinzu, das man nicht außer Acht lassen sollte.“

Die anatomischen Reithalfter unterscheiden sich nicht nur im Schnitt der Lederriemen, es können auch noch Ringe eingearbeitet werden.  „Bei der Trense Balance liegen das Jochbein und Gesichtsnerv des Pferdes frei. Zudem ist das Nasenband mit der Kinnverschnallung auch gegeneinander beweglich, sodass bei Pferden, bei denen das Reithalfter etwas höher liegt, trotzdem eine niedrige Kinnverschnallung möglich ist. Das Reithalfter passt sich dadurch sehr gut den anatomischen Gegebenheiten des Pferdekopfes an, denn wenn ich das Reithalfter regelkonform verschnalle, macht auch der Ring nicht zu viel Druck“, erklärt Eva Kannemeier.

Der Fokus liegt bei jeder Trense auf der richtigen Handhabung. „Die Reithalfter müssen ordentlich an den Pferdekopf angepasst werden. Hierbei sollte der Nasenriemen zwei Finger unter dem Jochbein liegen, wobei noch zwei Finger darunter Platz haben müssen. Und das Backenstück des Reithalfters sollte wirklich hinter der Jochbeinleiste liegen.“ Denn die Vorgaben der FN gelten auch für anatomische Reithalfter. „Wir arbeiten so, dass unsere Produkte regelkonform mit der FN sind. Wenn wir etwas ganz Neues entwickeln, treten wir auch an die FN heran und dann gibt es nach der Prüfung dafür eine Freigabe oder auch nicht.“

Auch wenn schon viele neue Trensen und Reithalfter entwickelt wurden, ist ein Ende noch nicht in Sicht. „Es gibt aus medizinischer Sicht immer neue Erkenntnisse, welche Gefäße, Nerven und Strukturen am Pferdekopf, aber auch am Rücken oder an den Beinen besser geschützt werden müssen. An dieser Weiterentwicklung sind wir natürlich auch sehr interessiert und möchten unsere Trensen als auch Sättel immer weiter verbessern, sodass unsere Produkte so pferdefreundlich und so pferdeschonend wie möglich sind. Zudem liegt unser Fokus darauf, die Produkte so zu gestalten, dass eine „Fehlnutzung“ kaum noch möglich ist. Denn wenn ich ein anatomisch geformtes Reithalfter nicht fachrecht einstelle, kann ich einem Pferd auch damit schaden.“ In der Praxis sollte deshalb immer ein erfahrener Trainer befragt werden, wie die Trense individuell auf das einzelne Pferd anzupassen ist. Am Ende kann ein anatomisch geformtes Reithalfter dafür sorgen, dass sich das Pferd beim Reiten wohler fühlt. Einen guten Reiter und richtiges Reiten kann man hierdurch jedoch nicht ersetzen. Das passende Equipment ist immer nur ein Hilfsmittel, um dem Pferd das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.

Juliane Körner

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